Der Chor des Bach-Vereins Köln zu Gast in der Leipziger Thomaskirche Drucken

Und Bach lag uns zu Füßen …

Thumbnail image„Seit meinem ersten Besuch in der Leipziger Thomaskirche 1973 hab ich davon geträumt, dort selbst einmal Musik von Bach aufführen zu können, denn für seine Kirchenmusik gibt es wohl keinen authentischeren Ort.“ Dieser nicht nur vom künstlerischen Leiter des Bach-Vereins Köln, Thomas Neuhoff, sondern auch von den Sängerinnen und Sängern des gemischten Chors insgeheim lang gehegte Traum wurde nun Anfang Oktober 2013 im Rahmen einer viertägigen Konzertreise nach Leipzig und Potsdam Wirklichkeit. Und doch haftete dieser Unternehmung vom ersten Moment des Betretens der Thomaskirche etwas Irreales, ja geradezu Magisches an. Schon das sonst oftmals lapidar daherkommende Einsingen vor der Probe bereitete hier – die Grabplatte Bachs unmittelbar zu Füßen – manch‘ einem ungewohnt weiche Knie. Für einen Moment gelang es, die Pilgerscharen von Touristen, die sich während des Vormittags durch das riesige Kirchenschiff drängelten, auszublenden, sich ganz auf die eigene Stimme zu konzentrieren und einen ersten Eindruck von den akustischen Gegebenheiten des so liebevoll, mit wunderschönen kleinen Details ausgezierten Kirchenraums zu gewinnen.

Ob die knapp 60 Stimmen wohl in diesem großen, erhabenen Raum bis zur letzten Kirchenbank des 1500 Plätze fassenden Gotteshauses durchdringen würden? Sie taten es: Die Akustik schien einen roten Teppich auszurollen, alles war durchsichtig zu hören und man hatte plötzlich den Eindruck, freier atmen zu können. Dieses Gefühl unglaublicher Weite und Freiheit bestätigte sich auch beim Gang über die großen breiten Treppen hinauf zur geradezu majestätisch wirkenden Orgelempore – dorthin, wo man als Tourist normalerweise keinen Zutritt hat, dorthin, wo einst der große Johann Sebastian Bach höchst selbst die Matthäuspassion uraufführte und ein ums andere Mal seine Thomaner zusammenstauchte, wenn ihr Gesang wieder einmal nicht so war, wie er ihn sich vorstellte.

Thumbnail imageWas ER wohl zu unserer Aufführung und zur Programmauswahl sagen würde? All diese Gedanken und sicherlich viele andere mehr zauberten unwillkürlich ein sanftes Lächeln in die Gesichter der Ausführenden und ließen so manch einem einen neuerlichen Schauer über den Rücken laufen. Das von unterschiedlichen Positionen aus vorgetragene Programm mit Werken von Claudio Monteverdi, Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy, Benjamin Britten und Igor Strawinsky bot durch die changierende Besetzung zwischen Männer-, Frauen- und gemischtem Chor sowie dem Werkpaar Präludium und Fuge in Es-Dur BWV 552 für Orgel am Anfang bzw. Schluss nicht nur dem Publikum, sondern auch jedem Ausführenden mehrfach Gelegenheit zum Innehalten, zum Auskosten der großartigen unterschiedlichen Klangwogen – und zum gemeinsamen Zuhören mit dem bunt gemischten, musikbegeisterten und teilweise sichtlich bewegten Publikum. Die Musik Johann Sebastian Bachs bildete im Konzert des Bach-Vereins Köln die Achse der „Musikalischen Vesper“, in die die stilistisch individuell gestalteten geistlichen Werke der übrigen Komponisten quasi liturgisch eingewoben wurden. Im Zentrum des Programms, gleichsam als Predigt, stand die rund 20-minütige Motette „Jesu, meine Freude“, deren Aufführung in unmittelbarer Nähe des Bach-Grabs zum emotionalen Höhepunkt des Abends geriet. Denn hier machte sich plötzlich ein Gefühl unendlicher Ruhe und Geborgenheit breit, das in den Textzeilen „Ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh. Gottes Macht nimmt mich in acht“ seinen adäquaten, sehr persönlichen Ausdruck fand.

Annett Reischert-Bruckmann, Bach-Verein Köln
28.10.2013