Amateurmusikfonds – Erfolg und Verpflichtung Drucken

Ein Zwischenruf von VDKC-Präsident Professor Ekkehard Klemm




Thumbnail imageDer im Sommer 2023 gestartete lang erwartete Amateurmusikfonds bietet als neuer Bundeskulturfonds Ensembles und Akteuren der Amateurmusik Unterstützung zur Sicherung, Aufrechterhaltung und Fortführung der künstlerischen und ehrenamtlichen Arbeit. Der Fonds ist damit Ausdruck einer neuen kulturpolitischen Ausrichtung, die die Amateurmusik als kulturelles Fundament unserer Gesellschaft anerkennt und als Immaterielles Kulturgut schützt.

VDKC-Präsident Prof. Ekkehard Klemm unterstreicht mit einem Zwischenruf die Bedeutung dieser begrüßenswerten Initiative, wagt aber auch einen kritischen Blick auf ihre Grenzen und Potenziale der Verbesserungen für die Zukunft:

Die im November gemeldete Fortsetzung des Amateurmusikfonds mit nochmals 4,6 Millionen Euro ist ein bedeutender Erfolg für die gesamte Musikszene! Die verschiedenen Musikverbände fordern eine breitere Unterstützung seit langem. Dass es erst einer Pandemie mit all ihren Folgen bedurfte, damit ein solches Vorhaben Gestalt annimmt und endlich in die Tat gesetzt wird, ist ein Wermutstropfen, der die generelle Freude über das nunmehr Erreichte nur wenig trüben kann. Dem Bundesmusikverband Chor & Orchester (BMCO) darf an dieser Stelle für ein starkes und wichtiges Signal gedankt werden, das nicht zuletzt die Wirkmächtigkeit der Gründung dieses relativ jungen Verbandes unterstreicht. Die jüngst gemeldete völlige Überzeichnung der ersten Antragsphase ist sowohl ein Zeichen, dass die Amateurmusikszene die Wertschätzung ihrer Arbeit verstanden hat als auch ein Signal, wie dringend die Förderung benötigt wird.

Der Verband Deutscher KonzertChöre (VDKC) gratuliert dem BMCO von Herzen zu diesem – nach der Einführung des Amateurmusikfonds mit zunächst 5 Millionen Euro – neuerlichen Verhandlungserfolg. Es ist uns allen klar, wie schwierig eine solche Förderung in Zeiten knapper Kassen und großer Krisen durchzusetzen ist, und dass sie letztendlich immer auf Kompromisse zwischen den Forderungen der Verbände und dem, was die Politik für möglich hält, hinausläuft.

Für die künftige Gestaltung des Fonds und die Zielrichtung der Ausschreibung erlauben wir uns, einige dringende Wünsche zu formulieren, die naturgemäß an den bisher geltenden Fristen und Richtlinien orientiert sind, geltend für die erste Ausschreibungsrunde.

Ein Grundproblem liegt für uns in der Kurzfristigkeit, Projektbezogenheit und den Befristungen:

  • um überhaupt Geld zu erhalten, musste bisher (zumeist in den Ferien) innerhalb weniger Wochen ein Projekt entwickelt werden, das in die Ausschreibungskriterien passt, verbunden mit sehr viel zusätzlichem Aufwand der ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen, nicht wissend, ob die Arbeit zum Erfolg führen wird,
  • das beantragte Projekt ist auf wenige Monate begrenzt – eine zusätzliche Belastung für die ohnehin am Limit arbeitenden Vereine, die keinerlei Flexibilität haben, solche Zusatzprojekte zu stemmen, denn: Gefördert werden keine regelmäßigen Tätigkeiten, sondern nur „neue künstlerische Impulse, Methoden und Ideen“,
  • verbunden damit ist eine weitere Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen; weder lassen sich in kurzer Zeit ausreichend qualifizierte Menschen finden, welche die innovativen Ideen so schnell umsetzen können (es gibt ja schließlich auch Ausschreibungen, Bewerbungsfristen und andere bremsende Begleiterscheinungen), noch ist eine solche projektbezogene Ausrichtung nachhaltig: Die gefundenen Mitarbeiter*innen gehen nach 10 Monaten wieder auf Jobsuche.

Wenn wir wirklich nachhaltige Förderung wollen, sollten künftig Instrumente entwickelt und gefunden werden, die auch Bestehendes unterstützen, gewachsene Strukturen festigen, Nachwuchsstrategien fördern usw. usf. Die Fixierung auf das „Neue“, „Innovative“, wahlweise verbunden mit den Stichworten „Diversität“, „Digitalisierung“, „Anti-Rassismus“ sind Bedingungen, die dem Zeitgeist entsprechen und ihre Berechtigung haben. Indessen können unsere Amateurverbände hier auch selbstbewusst auf viel Erreichtes verweisen. Denn wie wäre es um die Diversität in unserer Gesellschaft bestellt, wenn nicht die zivilgesellschaftliche Mitte der Vereine und auch Kirchen seit Jahren als Katalysator gewirkt und mit Tausenden Initiativen Verständigung und Integration befördert hätten! Der ständige Verweis auf die Bedeutung von Diversität und die Notwendigkeit demokratiefördernder, antirassistisch ausgerichteter Ideen und Projekte klingt nach viel Misstrauen in Zeiten, wo die Musik sich ohnehin mit dem Vorwurf auseinandersetzen muss, sie sei ein Relikt alter weißer Männer und Bach oder Mozart rassistische Komponisten. Mit Susan Neimann, der Direktorin des Enstein-Forums in Potsdam kann entgegnet werden: „Die Aufklärung hat die Kritik am Eurozentrismus ja erst erfunden. Sie empfahl den Europäern, von anderen Völkern zu lernen, und hat ihre Kritik europäischer Zustände oft gerade aus der Perspektive anderer Kulturen formuliert“. Neimann verteidigt ausdrücklich Voltaire, Diderot und Kant, denen heute wohlfeil Rassismus vorgeworfen werde, deren systematische Arbeiten jedoch „die Grundlage der Idee universeller Menschenrechte bilden. Sind wir weitergekommen als diejenigen, auf deren Schultern wir stehen? Na hoffentlich, hätten die Aufklärer gesagt, die immer auf selbstkritischen Fortschritt hofften.[1]

Mit etwas Stolz dürfen die deutschen Musikhochschulen darauf verweisen, dass sie jene universitären Einrichtungen mit der höchsten Diversität im Lande sind (über 50% ausländische Studierende gegenüber 15,7% an den Universitäten). Die Orchester wären froh, wenn unter 40 sich bewerbenden Personen für eine Position in den Violinen auch deutsche Bewerber*innen dabei wären. Woher sollen diese kommen, wenn nicht aus dem Nachwuchsbereich unserer Amateurensembles? Und bei aller Unzufriedenheit mit Frauenquoten in der Professor*innenschaft von Musikhochschulen und den Führungspositionen der Orchester liegen auch hier die durchschnittlich erreichten 35 bis 40% weit über den Quoten anderer universitärer Fächer und vieler Wirtschaftsunternehmen.[2] In den Amateurensembles gibt es noch ein ganz anderes Problem: Die Chöre benötigen dringend Männer, die Frauen sind massiv in der Überzahl.

Sicher sind Websites auf neuestem Stand, digitale Kartenverkäufe, Apps für Probenorganisation, Kampagnen für soziale Medien usw. wichtige und hilfreiche Dinge. Aber es muss uns doch vor allem um eine Unterstützung künstlerischer Arbeit gehen, um elektrisierende Aufführungen, um eine stetige und stabile Probenarbeit in anständigen Räumen, um die Gewinnung von Nachwuchs für unsere Chöre und Orchester und um eine Stabilisierung in Land und Stadt – nicht nur außerhalb der Zentren, wofür es zuletzt besonders viele Fördermöglichkeiten gab.

„Musik als existenzielle Erfahrung“ beschwört der Komponist Helmut Lachenmann und sieht „Kunst als vom Geist beherrschte Magie“. Künstlerische Tätigkeit lebt von neuen Ideen, von innovativen Projekten und Initiativen, die das Verbindende suchen und thematisieren. Sie sind unser tägliches Brot. Ohne diese prinzipielle Ausrichtung gerade auch im Bereich der Amateurmusikensembles gäbe es nicht die Lebendigkeit der Szene seit Jahrzehnten, ja seit Jahrhunderten. Inhaltliche Vorgaben der Politik für die Verwendung des Geldes sind als Sicherheitshebel nachvollziehbar, sie wären jedoch bei dem überragenden Erfolg der deutschen Amateurmusikszene vielleicht aber auch durch Vertrauen in die ohnehin strengen Vorgaben der Vereinstätigkeit und in die Qualität der Arbeit der Ensembles und Verbände zu ersetzen.

In diesem Sinne kann und darf der Amateurmusikfonds nicht das Strohfeuer von Projekten einzelner Jahre bleiben. Er ist eine Verpflichtung auf Visionen für die Zukunft: Was sind uns Amateurmusik und die sie tragenden Verbände und Strukturen als Grundlage des gesamten – in der Welt bewunderten – Musiklebens wirklich wert? 5 Mill. Euro entsprächen bei 14,3 Mill. Musizierenden im Amateurbereich 0,28 Cent pro Person. Mit den 4,6 Mill. Euro werden diese nun fast verdoppelt – gut so, und ein wichtiger erster Schritt!

Dem BMCO wünschen wir weiterhin Erfolg und Durchhaltevermögen beim schwierigen Kampf um die Verstetigung des Amateurmusikfonds und hoffen auf eine Lösung, die jenseits befristeter und inhaltlich stark regulierter Lösungen liegt!

Danke MdB Benjamin Strasser und seinem Team für den großartigen Einsatz bis hierher!

Ekkehard Klemm
20.12.2023