Wenn Musikgeschichte lebendig wird Drucken

Adjuvantenmusik in Berlstedt gestern und heute

Thumbnail imageThüringens Dörfer können auf die europaweit einzigartige Musikkultur der Adjuvantenmusik stolz sein. So auch Berlstedt. Dort tauchte die in den Kriegswirren des letzten Jahrhunderts verschwundene Berlstedter Adjuvantenchronik wieder auf. Die Sammlung belegt das interessante dörfliche Musikleben dieser Zeit und das hohe Niveau des damaligen Musizierens.

Sebastian Göring ist es zu verdanken, dass diese Schätze aus dem handschriftlichen Archiv gehoben werden konnten. Er machte sich daran, die verschollen geglaubte Rarität für die Aufführung am Entstehungsort aufzubereiten und so konnten am Sonnabend, den 27.06.2015 in der Kirche St. Crucis erstmals wieder zahlreiche Werke aus dem Archiv des „Chori musici in Berlstedt“ (Ersterwähnung 1710) aufgeführt werden.

Stilsicher, authentisch und in außergewöhnlicher Qualität gelang dem Kammerchor Michaelstein und Instrumentalspezialisten aus Deutschland und der Schweiz unter der Leitung von Sebastian Göring diese einzigartige Momentaufnahme von ca. 1800 und brachte damit Musikgeschichte mit Werken zum Klingen, die an gleicher Stelle schon einmal vor mehr als 200 Jahren zu hören waren.

Thumbnail imageAdjuvanten waren nach der Reformation in den protestantischen Kirchen tätige Laienmusiker, Menschen aus der Dorfbevölkerung, die aktiv das Musikleben der Kirchgemeinde gestalteten. Immerhin sollen dazumal ungefähr zehn Prozent der männlichen Bevölkerung ein Instrument beherrscht haben und des Vom-Blatt-Singens mächtig gewesen sein.

In historisch informierter Aufführungspraxis war ein Querschnitt an Werken aus dem gesamten Kirchenjahr zu hören. Darunter Werke zu ihrer Zeit hoch angesehener Musikerpersönlichkeiten, wie zum Beispiel die Thomas- bzw. Kreuzkantoren Johann Friedrich Doles, Johann Adam Hiller, August Eberhard Müller und Gottlob August Krille sowie von Georg Peter Weimar, einem der im 18. Jahrhundert wichtigsten Musiker der Stadt Erfurt, Johann Heinrich Rolle aus Magdeburg, Joseph Schuster aus Dresden und sogar Stücke von Wolfgang Amadeus Mozart und Antonio Salieri. Ein hochkarätiges Instrumentalensemble, besetzt wie in der damals immer populärer werdenden Harmoniemusik aus Naturhörnern (G. Köhler, J. Leuftink), historischen Klarinetten (M. Bachmann, B. Kösling) und Barocktrompeten (S. Kuhn, F. Lösche) begleitete mit hoher technischer Versiertheit und hervorragender klanglicher Expressivität den Kammerchor Michaelstein. Die 17 Sängerinnen und Sänger machten ihrem Renommee als exzellentes Vokalensemble alle Ehre und demonstrierten mit stimmlicher Ausgewogenheit, Klarheit der Linienführung, dynamischer Bandbreite sowie Charakterisierung von Diktion und Stilistik ein Höchstmaß an Musikalität. Ganz im Sinne der Adjuvantenmusik unterstützte der heutige Gemischte Chor Berlstedt auf imponierende Weise den Kammerchor bei zwei Musikstücken.

Thumbnail imageSebastian Göring führte nicht nur musikalisch durch den Abend, sondern ließ durch seine eloquente Moderation das Publikum wie durch ein Zeitfenster historische und musikgeschichtliche Zusammenhänge sehr unterhaltsam „hautnah“ erleben.

Den Kirchenraum zierten großformatige Plakate mit Kopien der Berlstedter Adjuvantenchronik und gaben interessante Einblicke in diese wirklich sehr gut erhaltene Dokumentation thüringischer Musikgeschichte einschließlich der Statuten der Adjuvanten aus dem Jahr 1786, die genau festlegen, wann und wie die Musiker zum Einsatz kommen - inklusive eines Strafkatalogs bei Nichtbeachtung der Regeln.

Die Kirche war einschließlich der Emporen voll besetzt. Das Publikum dankte mit stehenden Ovationen für diese ausdrucksstarke und lebhafte unterhaltsame Aufführung, welche durch die Unterstützung der „Mitteldeutschen Barockmusik e.V.“ überhaupt erst möglich gemacht werden konnte.

„So etwas hat es in Berlstedt noch nicht gegeben, seit wir uns erinnern können“, sprachen sich mehrere Konzertbesucher nach dem Konzert aus. Zu Tränen gerührt bedankten sich andere bei den Mitwirkenden. Die Reaktionen sprachen für sich und waren zugleich hochverdienter Lohn für eine künstlerische Gesamtleistung.

Melanie B. Queitsch, Kammerchor Michaelstein
08.07.2015