Nachruf auf Heribert Allen Drucken

Ein Weggefährte erzählt

Heribert Allen habe ich bereits am Beginn meiner Laufbahn in der Kulturverwaltung kennengelernt: Als ich 1981 als junger neuer Kulturamtsleiter nach Neuss kam, dauerte es nicht lange, bis er mit dem seinerzeitigen Präsidenten des damals so genannten „Verbandes Deutscher Oratorien- und Kammerchöre (VDOK)", Dr. Günther Kuhnt, ehemaliger Oberstadtdirektor von Neuss, bei mir erschien, um über die Vorbereitung der ChorKonzertTage 1983 zu sprechen. Durch Dr. Kuhnt, der vor der Nazizeit Kulturdezernent von Breslau und als solcher bereits im deutschen Chorverbandswesen aktiv war, war der Sitz des VDOK und der Ort der alle vier Jahre stattfindenden Chorkonzerttage nach Neuss verlegt worden, und Dr. Kuhnt war bestrebt, diese Konstellation auch über seine Präsidentschaft hinaus an die Stadt Neuss zu binden. So machte er dann auch später den damaligen Ersten Beigeordneten von Neuss, Bruno Kramel, und nach dessen frühen Tod mich als inzwischen neuen Stadtdirektor von Neuss zu seinem Nachfolger als Präsidenten. Wer bei all diesen Wechseln für Kontinuität sorgte, war Heribert Allen.

In seiner unnachahmlich hartnäckigen und fleissigen Art kümmerte er sich um alles, so dass ein jeder Präsident nicht allzu viel Arbeit mit dem Verband und seinen Chorkonzerttagen hatte: Hauptsache, der Präsident besorgte alle vier Jahre genügend Geld, hielt Reden, leitete die Sitzungen des Verbandes und störte im übrigen Heribert Allen nicht bei der Arbeit – so sah das auch Heribert Allen selber! Mit dieser wunderbaren Arbeitsteilung fanden dann höchst erfolgreich die Chorkonzerttage 1983 und 1987 in Neuss statt.

Die große Herausforderung kam dann 1989 mit der Wende: Uns war beiden sofort klar, dass wir handeln und Kontakt zu den ostdeutschen Chören und Verbänden suchen mussten. So dauerte es nicht lange, bis wir Anfang 1990 im tiefverschneiten Ostberlin im Büro der Musikverbände der DDR und kurz darauf im Wohnzimmer von Ursula und Horst Müller, dem künstlerischen Direktor der Singakademie Potsdam saßen, um uns einen ersten Überblick über das Konzertchorwesen der DDR und dessen Verbandsstruktur zu verschaffen. Schnell stellten Heribert Allen und ich übereinstimmend fest, dass wir es bei den 22 Singakademien und Philharmonischen Chören der DDR nicht nur mit einer alten deutschen Tradition, sondern auch mit einem künstlerisch denkbar hochstehenden Niveau zu tun hatten. Besonders faszinierte uns, vor allem Heribert Allen, dass sich die Bürger der DDR seit den196oer Jahren wieder auf die Singakademien als Orte der bürgerlichen Emanzipation und Freiheit zurückbesonnen und diese wiederbelebt hatten. Für uns beiden stand schnell fest, dass wir diese historische Leistung nicht kurzerhand für uns im Westen vereinnahmen, sondern ihr bis auf weiteres eine eigene Struktur belassen sollten. So kam es schon am 20. Mai 1990 mit unserer Beratung zur Gründung eines ostdeutschen „Verbandes Deutscher Singakademien, Konzert- und Philharmonischer Chöre", der sich dann aber auf sein eigenes Drängen hin bereits am 11.11.1990, also wenige Wochen nach der deutschen Wiedervereinigung, mit dem VDKC zu einem gemeinsamen Verband zusammenschloss.

Diese rasante Entwicklung des Jahres 1990 sollte jedoch nur der Auftakt für eine fulminante Entwicklung des Verbandes und der Arbeitsbelastung seines Generalsekretärs sein, der zwar immer schon äußerst fleissig und findig gewesen war, nun aber mit den neuen Anforderungen über sich hinaus wuchs: Bereits im Mai 1991 fanden die ersten gesamtdeutschen ChorKonzertTage mit rd. 2.200 Sängerinnen und Sängern in Neuss statt – ein organisatorischer Kraftakt ohnegleichen, den Heribert Allen mit stoischer Ruhe und Gelassenheit meisterte, als wäre es jahrzehntelalte Routine. Zudem war es anrührend, mit welcher Herzlichkeit er die neuen Mitglieder aus dem Osten willkommen hieß und mit wievielen von ihnen er auf Dauer Freundschaft schloss. Für mich gehören diese ChorKonzertTage 1991 jedenfalls zu den beglückendsten Ereignissen meines ganzen Berufslebens, und das habe ich auch ganz persönlich Heribert Allen zu verdanken.

Kurz darauf gab es neue Herausforderungen: Nach meinem Wechsel in das Amt des Kulturdezernenten von Düsseldorf war mein Nachfolger als Stadtdirektor von Neuss nicht bereit, Präsident des VDKC zu werden und diesen zu den ChorKonzertTagen 1995 nach Neuss einzuladen, woraufhin mir Heribert Allen sofort klarmachte, dass ich das Amt bis auf weiteres zu behalten und mich mit ihm auf die Suche nach einem neuen Ort der ChorKonzertTage zu machen hätte. Für ihn war klar: Nur eine Stadt in den neuen Bundesländern konnte es sein, und die Wahl fiel schnell auf Schwerin – eine Entscheidung, die wir nie bereut haben: Diese Kirchen, dieses Theater, dieses Stadtbild mit seinen Seen, und vor allem dieses einzigartige Licht! Aber was für eine Zumutung für den letztlich fast allein agierenden Generalsekretär, nach den organisatorisch und finanziell abgesicherten Verhältnissen im von Viersen aus nahegelegenen Neuss nunmehr fernab der Heimat in fremder Umgebung bei noch nicht richtig funktionierenden Verwaltungsstrukturen und bis zuletzt unsicheren Finanzen ChorKonzertTage für Tausende von Chorsängern organisieren zu müssen, zumal mit einem Präsidenten, der kaum noch Zeit für den VDKC hatte und ein Präsident „auf Abruf" war. Doch vor all dem hat Heribert Allen nicht einen Moment zurückgeschreckt – im Gegenteil: Er wusste sofort, dass dies eine historische Stunde war, in der er das zu tun hatte, was sie von seinem Amt forderte. Und er hat diese Anforderungen nicht nur bravourös gemeistert, sondern darüberhinaus auch noch den Spass am Publizieren von zahlreichen Handreichungen für das Chormanagement u. ä. entdeckt.

Was bleibt als Resumé? Ein geglücktes Leben! Er hat sowohl aus dem alten VDOK wie auch aus sich selbst und seiner eigenen Persönlichkeit im Laufe seiner Lebenszeit das gemacht, was er aus ihnen machen konnte. Damit hat er sich um den VDKC im besonderen und um das deutsche Chorkonzertwesen im allgemeinen verdient gemacht, wofür ihm unser aller Anerkennung und Erinnerung gebühren!

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff
Staatssekretär für Kultur NRW a.D.
Stadtdirektor und Kulturdezernent von Neuss und Düsseldorf a.D.
Präsident des VDKC a.D.
02.06.2014