Foto: Michael Maul (Bach-Archiv Leipzig, Gert Mothes)
Foto: Michael Maul (Bach-Archiv Leipzig, Gert Mothes)

CHORizonte: Reflektionen zur Chormusik des 21. Jahrhunderts

Der 100. Geburtstag des Verbandes Deutscher KonzertChöre im Jahr 2025 erlaubt den Blick zurück aber auch den nach vorne.

Während die Verbandsgeschichte in großen Teilen aufgearbeitet und in einer eigenen Jubiläumsschrift ausführlich beleuchtet wird, beschäftigt uns eine der wichtigsten Zukunftsfragen permanent: Wie wird sich das Chorsingen der Zukunft gestalten? 

In Gesprächen und Publikationen des Verbandes nimmt diese Frage einen breiten Raum ein. Nicht nur der Wirkungskreis des Verbandes Deutscher KonzertChöre selbst konnte schon in einen solchen Kontext gestellt werden, es ergaben sich auch Reflektionen von Menschen, die sich ebenfalls täglich mit diesem Thema beschäftigen und die hier veröffentlicht werden können.
 
Das Projekt CHORizonte versammelt Interviews, Essays und Beiträge, die sich mit den Themen Nachwuchsförderung, neue Chormusik, Schwerpunkte künftiger Chorarbeit, Aufgaben der Chorverbände, Verpflichtungen der Politik und Gesellschaft zum Schutz des immateriellen Kulturguts „Chormusik in deutschen Amateurchören“ und vielem mehr beschäftigen und die sinnstiftend sind als Anregung, Diskussionsgrundlage und Stimmungsbild.

Die Serie mündet in eine Öffentliche Podiumsdiskussion am Samstag, 10. Mai 2025, 14:30 Uhr im Bauhaus-Museum Weimar. Dort diskutieren:

  • Prof. Ekkehard Klemm (Dirigent, Präsident des VDKC)
  • Prof. Dr. Michael Maul (Musikwissenschaftler, Intendant des Bachfestes Leipzig)
  • Prof. Judith Mohr (Chordirigentin, UdK Berlin, Vorsitzende des Künstlerischen Beirats des VDKC)
  • Prof. Hans-Christoph Rademann (Dirigent, HfM Dresden, Künstlerischer Leiter Bachakademie Stuttgart)
  • Prof. Dr. Charlotte Seither (Komponistin, Mitglied im GEMA-Aufsichtsrat, im Vorstand des Deutschen Komponistenverbands und im Präsidium des Deutschen Musikrats).

Die Veranstaltung wird von Claus Fischer (mdr, Dlf, rbb) moderiert.


CHORizonte-Interview:

Ekkehard Klemm im Gespräch mit Prof. Dr. Michael Maul (Musikwissenschaftler, Intendant des Bachfests Leipzig)

E.K.: Als Musikwissenschaftler, Bachforscher und Intendant des Bachfestes sind Sie der Chormusik in vielerlei Funktionen verbunden. Welche Entwicklungen beobachten Sie in der aktuellen Bedeutung und Entwicklung der Chormusik und welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht die Amateurchöre dabei?

M.M.: Meine Wahrnehmung ist, dass das Chorwesen blüht. Menschen lieben und genießen das Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich beim Chorsingen ergibt. Ich staune über die unzähligen Laien-Chöre in Leipzig, Deutschland, aber auch global, die sich – immer wieder und mehr und mehr – der Herausforderung stellen, solche Chormusik-Achttausender wie Bachs h-Moll-Messe, dessen Weihnachtsoratorium oder eine der beiden Passionen aufzuführen. Solche Gemeinschaftserlebnisse vergisst man nicht – sie schweißen zusammen, und oft erwachsen daraus Verbindungen und Erinnerungen, die ein Leben lang bleiben.

Ich bedauere es aber, dass die Kirchen in Deutschland wegen der überall zu beobachtenden krassen Personalkürzungen im Bereich der Kirchenmusik es nicht leicht machen, dass diese ureigene Tradition hier erhalten bleibt. Mir scheint, hier sägt man an dem Ast, auf dem man sitzt. Denn tatsächlich ist doch das Laienchorwesen und die Praxis der jährlichen Aufführungen von Klassikern wie des WOs, des Messias oder des Mozart-Requiem immer eine herrliche Visitenkarte und ein Magnet für die Institution Kirche gewesen – und die Kirchenmusik selbst oft genug wirkungsvoller(er) Einstieg in die Botschaften der Bibel.

Eine Matthäus-Passion mit 90 – 120 Chorsängerinnen und Chorsängern ist musikwissenschaftlich ein Anachronismus. Dennoch sind die Aufführungen Bachscher Oratorien in Kirchen und Konzertsälen eine Säule der Bachpflege und der breiten Kenntnis dieser Art von Musik in der Bevölkerung des – noch immer – Musiklandes Deutschland. Wie ist der Spagat zwischen historischer Aufführungspraxis und einer Breitenwirkung, die für die Lebendigkeit und Verankerung dieser Art von Musik im gesellschaftlichen Bewusstsein notwendig ist, aus der Sicht des Musikwissenschaftlers zu lösen? Anders gefragt: Das WO mit 120 Sängerinnen und Sängern freut den Bachforscher? Oder leidet er darunter?

Leiden keineswegs! Ich freue mich über solcherlei Aktionen und forciere sie auch selbst. Denn sie demonstrieren doch wunderbar die Wandelbarkeit und Anpassungsfähigkeit von Bachs Musik. Im Bachfest 2024 hier in Leipzig hatte ich über 40 Bach-Chöre von allen Kontinenten eingeladen – weltberühmte hochvirtuose Interpreten, aber ebenso hochenthusiastische Laien – um Bachs gesamten Choralkantaten-Jahrgang aufzuführen. Der wurde 2024 300 Jahre alt, zugleich feierten wir 500 Jahre erstes lutherisches Gesangbuch. Grund genug, bei den Konzerten des Zyklus jede Kantate damit zu beginnen, Publikum und Interpreten erstmal gemeinsam – nach einem einleitenden Orgel-Choralvorspiel – das Lied singen zu lassen. Der vierstimmige Schlusschoral kam dann zweimal: einmal vom Ensemble, dann von allen zusammen. So prallte mitunter innerhalb einer Kantate die Aufführungspraxis des 19. Jahrhunderts auf die der historisch-informierten barocken Aufführungspraxis. Aber alle fanden gerade diese Aufhebung der Grenzen zwischen aktiven Interpreten auf der Bühne und lauschendem passiven Publikum toll – 1500 Menschen unter der Leitung von Ton Koopman oder Philippe Herreweghe singen in Bachs eigener Kirche „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ oder „Nun danket alle Gott“ – Gänsehaut pur! Inzwischen werde ich vielfach gefragt: „Na, dürfen wir in diesem Jahr wieder mitsingen?!“ Und tatsächlich, nachdem wir im letzten Jahr auch schon die Johannes-Passion auf dem Marktplatz gebracht haben – über 4000 ZuschauerInnen sangen begeistert die Choräle – plane ich gerade für 2027 eine Open-Air-Aufführung der Matthäus-Passion: unter Beteiligung von acht Bach-Chören von allen Kontinenten. Das wird toll! – und kann gut neben den Darbietungen in hochdifferenzierter sogenannter Aufführungspraxis bestehen.

Sie gelten als sehr innovativer Intendant eines weithin sichtbaren und attraktiven Festivals, haben zuletzt auch Beratungsarbeit für einen Film geleistet: Was empfehlen Sie den ambitionierten Amateurchören und ihrem Verband, wie das immaterielle Kulturerbe „Chormusik in deutschen Amateurchören“ weiter profiliert werden kann – irgendein Geheimrezept eines erfolgreichen Kulturmanagers?

Naja, man sagt mir nach, dass ich „Bach-bekloppt“ sei und mit dieser Begeisterung nicht hinterm Berg halte(n kann). Und ich denke, das ist auch ganz wichtig: Die eigene Begeisterung für die Sache nicht zu verstecken. Denn das steckt an! Seit ich mit Bernhard Schrammek den Podcast zu den Bach-Kantaten (inzwischen „Der Bach-Kanal“) produziere, ist es immer wieder vorgekommen, dass uns Leute spiegelten: Hey, wir haben eigentlich gar nichts für Kirche übrig, aber ihr macht uns klar: das ist ja wirklich zeitlose, brandaktuelle und so lohnende Musik – und man wird als Chorsänger so wunderbar belohnt, weil bei Bach eben jede Stimme gleich wichtig ist, so dass wirklich ein wahrhaftes, hochdemokratisches Gemeinschaftserlebnis entsteht. Daher meine Empfehlung: Einfach mal einen Bach oder Schütz machen, es muss ja nicht gleich „Singet dem Herrn“ sein – und sich dabei deutlich machen: Das ist eine Musik, entstanden vor 300 Jahren für eine lokale Gemeinde. Aber sie hat inzwischen bewiesen, dass sie etwas einlösen kann, was wir auf so vielen Feldern heute für eine Utopie halten: riesige zeitliche, geografische und kulturelle Grenzen zu überwinden und im besten Sinne zeitlos und verbindend zu sein. Esperanto aus Noten! Das müssen der Elvis, die Beatles oder Lloyd Webber erst noch beweisen. Und ich denke, so kleine Brücken zu bauen, die das Verständnis für die Musik erleichtern, ist ganz wichtig – ein bisschen Moderation vorab, in der man die Begeisterung für die Sache eben wirklich zum Ausdruck bringt und klar macht: Das ist nicht verstaubt und gehört nicht ins Museum!

Mit Mendelssohn und der Romantik begann das „bürgerliche Konzertleben“ in Deutschland und damit auch eine „Demokratisierung“ der Musik: Breite Schichten waren in Chören und Musikfesten einerseits daran beteiligt, schauten aber andererseits zunehmend nach hinten statt nach vorn. Im 20. Jahrhundert sorgten mediale Verbreitung für einen weiteren Schub in Richtung Tradition und Vergangenheit. Welche Möglichkeiten sehen Sie, die zeitgenössische Musik wieder deutlicher zum Zentrum der Beschäftigung mit Musik zu machen?

Das ist in der Tat eine Herausforderung, auch und gerade, weil heute die „zeitgenössische Musik“ eine riesige Bandbreite hat. Im 20. Jahrhundert gab es diese Aufspaltung in sogenannte E- und U-Musik – ich mag diese irgendwie arrogant wertende Begrifflichkeit – die man so nur im Deutschen kennt – überhaupt nicht. Aber innerhalb der E-Musik war es eben auch so, dass das grundsätzliche musikalische Alphabet – das in den Jahrhunderten zuvor doch im wesentlichen immer ein gemeinsames war – nicht mehr verbindlich blieb. Sprich: Viele Komponisten schufen sich ihr eigenes Alphabet  und damit auch hohe Eintrittshürden in ihre Welt – für die Interpreten wie für das Publikum. Ich denke, auch hier ist es wichtig, als Interpret in Konzerten mit solch anspruchsvollem Repertoire Brücken zu bauen. Und ich freue mich, wenn neben einem Stockhausen oder Schleiermacher eben auch ein Bach, ein Leonard Cohen, ein Sting oder gar ein Lady Gaga-Arrangement kommt – und alles mit dem gleichen Anspruch einstudiert wird. Denn sind wir doch mal ehrlich: Gute Musik ist die, die überzeugt und berührt – egal ob E oder U…

Sind Sie schon der oder dem Mendelssohn des 21. Jahrhunderts begegnet?

Mendelssohn war ein besessener, rastloser, unglaublich inspirierter, kompromissloser Künstler – energetisch bis zur Selbstzerstörung, ein Visionär und ein Menschenfänger. Ich denke schon, dass man heute auf verschiedenen Feldern solchen Persönlichkeiten begegnet. Allerdings machen es die oft prekären Verhältnisse, in denen (freischaffende) Künstler in der Regel leben, nicht immer leicht, die mitgegebenen Talente konsequent auszuprägen. Mendelssohn hatte natürlich auch das Glück, dass er in eine Familie hineingeboren wurde, die sein unglaubliches Talent bedingungslos förderte. Das hat ihm die Umsetzung seiner Visionen wesentlich erleichtert.

VDKC

05.05.2025

Veranstaltungen der Mitgliedschöre

Hear my prayer
20.05.2025 17:00 - 18:00

Chor der Singeleiter Lübeck


„Hab oft im Kreise der Lieben…“ – ein Surroundkonzert
21.05.2025 19:00 - 20:30
Gleichen
göttinger vokalensemble


FESTKONZERT IM RAHMEN DER FESTWOCHE ZUM 212. GEBURTSTAG VON RICHARD WAGNER
22.05.2025 19:30 - 21:30
Leipzig
Leipziger Universitätschor


Kern aus Licht - ein Schillern von Seele zu Seele
23.05.2025 19:00 - 20:00

Kammerchor CANTAMO Köln


Sing joyfully
23.05.2025 19:30 - 20:30
Hochheim am Main
Vokalensemble Capella Moguntina


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Auf Antrag des VDKC wurde die „Chormusik in deutschen Amateurchören" in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes (UNESCO-Konvention) aufgenommen.

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