Leipziger Synagogalchor: „Adonai! Kyrie! Lord! Herr!" von Aristides Strongylis Drucken

Ein Auftragswerk für 50 Jahre Chorgesang

Thumbnail image50 Jahre als Chorsänger in ein und demselben Ensemble ‒ das ist für den Chor und den Sänger etwas ganz Besonderes! Reinhard Riedel, Tenor im 1962 gegründeten Leipziger Synagogalchor, blickte 2019 auf ein halbes Jahrhundert zurück. Drei Chorleiter, um die 2500 wöchentliche Proben, ca. 750 Konzerte auf fünf Kontinenten, das außergewöhnliche Repertoire der jüdischen Chormusik, das soziale Gefüge der Chorkolleg*innen, deren Leben man teilt und die man nicht mehr missen möchte: Reinhard Riedel hat all dies erlebt, und im 50. Jahr war es für ihn ein Bedürfnis, dem Chor etwas zurückzugeben. Er entschied sich für den 92. Psalm als Auftragskomposition, und so entstand „Adonai! Kyrie! Lord! Herr!", geschaffen von Aristides Strongylis.

Auch für den Komponisten liegt etwas ganz Besonderes in seinem neuen Werk: „Als ich im Herbst 2017 von meiner ersten Reise auf den Heiligen Berg Athos zurückkam, eine orthodoxe Mönchsrepublik mit autonomem Status unter griechischer Souveränität in Griechenland, traf ich nach einem Konzert zufälligerweise auf Reinhard Riedel. Herrn Riedel kenne ich seit Jahren als Vater einer sehr guten Freundin. Ich erzählte ihm natürlich von Athos, was ich da sah, hörte und erlebte, und vor allem über meine Ergriffenheit an diesem heiligen Ort. Vielleicht sei dazu erwähnt, dass die Reise nach Athos für einen griechisch-orthodoxen Christen so etwas wie die Pilgerschaft nach Mekka für den Muslim oder die Reise nach Tibet für den Buddhisten ist. Was er mir dann sagte, überraschte mich. Er fragte, ob ich Interesse hätte, diese Erfahrung in einem Chorstück zu verarbeiten und schlug sogar einen Text vor, und zwar den 92. Psalm Davids. Er erwähnte, dass er im Jahr 2019 sein fünfzigjähriges Chorjubiläum feiern wird und dass er sich freuen würde, falls ich für ‚seinen Chor’ dieses Werk komponieren könnte. Dieses Stück also betrifft uns beide, aber auf ganz unterschiedliche Weise.

So ist es auch geworden. Ich habe den 92. Psalm in vier Teile geteilt und ihn in vier Sprachen vertont; in Hebräisch (Verse 1‒5), Neugriechisch (Verse 6‒10), Englisch (Verse 11‒12) und Deutsch (Verse 13‒15). Ich wollte damit zweierlei zeigen: Erstens den Weg des Textes zu uns in die moderne Zeit, zwei alte im Kontrast mit zwei neuen Sprachen, die durchaus akustisch unterschiedlich klingen, aber das Gleiche sagen. Zweitens die Gemeinsamkeiten der doch recht unterschiedlichen Glaubenskulturen Judentum, griechisch-orthodoxes, katholisches und protestantisches Christentum. Dieser Text ist für alle da. ‚Adonai! Kyrie! Lord! Herr!’, oder die Anrufung Gottes in den vier Sprachen für Solo-Stimme, gemischten Chor und Orgel ist der Weg ‒ glaube ich jedenfalls ‒, durch die Musik zu zeigen, dass es viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen den Kulturen und Religionen gibt.“ (Aristides Strongylis)

Die Uraufführung des Werks fand am 10.11.2019 im ökumenischen Gedenkgottesdienst für die Opfer der Novemberpogrome 1938 in der Leipziger Thomaskirche ihren würdigen Rahmen. Wir gedenken, wollen nicht vergessen, und gleichzeitig blicken wir nach vorn und tragen dazu bei, Neues und Gutes entstehen zu lassen! Und natürlich wünschen wir unserem Tenor Reinhard Riedel für sein 51. Chorjahr 2020 viel Freude und Erfüllung.

Informationen:
Synagogalchor Leipzig | Aristides Strongylis | Edition Gravis

Franziska Menzel, Leipziger Synagogalchor
18.11.2019