Der Stuttgarter Oratorienchor feiert sein 175jähriges Bestehen Drucken

Jubiläumskonzert und Ehrung mit Zelter-Plakette

Thumbnail imageMit 175 Jahren ist das Traditions-Ensemble der Landeshauptstadt Baden-Württembergs tatsächlich der älteste Konzertchor, der sich seit seiner Gründung im Wesentlichen der oratorischen Literatur widmete und noch immer sehr vital widmet. Für sein großes Jubiläumskonzert am 24. Juli 2022 im Beethovensaal der Liederhalle stand einmal mehr Haydns Klassiker „Die Schöpfung“ auf dem Programm.

Enrico Trummer, seit über 25 Jahren künstlerischer Leiter des Chors, hatte zu diesem besonderen Anlass gleich zwei Partnerchöre aus Stuttgarts Partnerstädten Brünn und Straßburg eingeladen: Der „Brněnský filharmonický sbor Beseda brněnská“ (Brünner Philharmonischer Chor) und der „Chœur de St. Guillaume – Strasbourg“ nahmen mit zwei leistungsstarken Chorabordnungen teil, die zusammen mit dem Stuttgarter Oratorienchor den gut 100-köpfigen Chor des Abends bildeten.

Geladene Ehrengäste loben Engagement

Ein weiterer Höhepunkt des Abends war nach der Pause die Festansprache des Stuttgarter Kulturbürgermeisters Dr. Fabian Mayer, der es sich nicht nehmen ließ, die Verleihung der Zelter-Plakette bekanntzugeben. Auf der zum Zeitpunkt des Jubiläumskonzerts noch nicht angekommen Urkunde steht folgender Text:

Stuttgarter Oratorienchor e.V.
mit dem Prädikat
in Tradition des Vereins für klassische Kirchenmusik,
gegründet am 24. Februar 1847

Er sprach im Namen der Landeshauptstadt dem Chor seine Anerkennung und großen Dank aus, der sich seit vielen Jahren um das kulturelle Leben verdient gemacht hat.

Im Anschluss trat auch die stellvertretende Oberbürgermeisterin Straßburgs Veronique Bertholle vors Mikrofon. Sie freute sich über den 60. „Geburtstag“ der Städtepartnerschaft Straßburg – Stuttgart und ganz besonders über die Teilnahme des Chœur de Saint-Guillaume de Strasbourg an diesem außergewöhnlichen Konzert.

Sie hob die Bedeutung der eigenverantwortlichen Annahme von Städtepartnerschaften durch Verbände und der Zivilgesellschaft hervor: Der Wert dieser Freundschaft und Solidarität zwischen den Städten ist unbezahlbar. Wenn das in Friedenszeiten wertvoll ist und erhalten werden muss, wird es in einer großen Krise wie der, die wir derzeit erleben, umso mehr. …

Musik kennt keine Grenzen, Musik verbindet, Musik schenkt Freude

Mit dem Stuttgarter Concertino stand Trummer wiederum ein sehr aufmerksam begleitendes Orchester zur Verfügung, das die hohen, teils opernhaften Anforderungen der Partitur auf beeindruckende Weise meisterte. Auch mit dem Solisten-Terzett war ein besonderer Glücksgriff gelungen: Sowohl stimmlich wie auch gestalterisch überzeugten die jungen Künstler auf einem überragenden Niveau. Glockenklare und mühelose Koloraturen konnte man da von der griechischen Sopranistin Fanie Antonelou hören. Lyrischer Schmelz, ausdrucksstarke Rezitativ-Gestaltung und stets runde, weich timbrierte Tenortöne mit schön ausbalancierten Höhen waren das Markenzeichen des Stuttgarter Tenors Philipp Nicklaus. Geradezu sensationell war die Basspartie mit dem Tiroler Oliver Sailer besetzt. Unglaubliche Stimmfülle und technische Meisterschaft zeichneten den Vortrag des gerade mal 28-jährigen Bass-Solisten aus: Ob beim hohen „f“ der „Gipfel“ in seiner ersten Arie oder beim tiefen (!) „d“ des „Gewürms“. Nach dieser Überraschung ließ sich ein anerkennendes Raunen im Publikum vernehmen.

Auch der überaus groß besetzte Chor verblüffte durch seine hohe Homogenität und die punktgenaue Synchronisation. Dies war das Ergebnis der akribischen Vorarbeit Trummers: Über Zoom-Meetings überzeugte er die anderen Chorleiter von seinen musikalischen Vorstellungen. Nur so ließ sich - trotz der wenigen gemeinsamen Proben – eine differenzierte Interpretation umsetzen. Kluge Tempowahl, klare Artikulationen und Absprachen (trotz der tschechisch- und französischsprachigen Choranteile!) sowie überzeugende Ausdruckswechsel im klassischen Sinne begeisterten Publikum und Mitwirkende gleichermaßen.

Schon die berühmte „Licht-Werdungs-Stelle“ am Anfang des ersten Choreinsatzes sorgte mit ihrem dynamischen Sprung zwischen Pianissimo und Fortissimo beim strahlenden C-Dur Akkord für Gänsehaut. Überwältigend auch das Zusammenspiel von Solisten-Terzett und Chor im Schlusschor nach dem fünften Schöpfungstag. „Der Herr ist groß“ wurde zu einem prachtvoll jubilierenden Klangereignis, das mit perlenden Koloraturen, mitreißendem Tempo und wunderbaren dynamischen Steigerungen die himmlischen Heerscharen eindrucksvoll in den Beethovensaal holten.

Insgesamt hinterließen die Chornummern neben den solistischen Teilen einen grandiosen Eindruck. Ohne zu übertreiben, lässt sich behaupten: Haydn selbst dürfte an dieser Chor-Leistung und der gesamten Aufführung mit den hinreißenden Tonmalereien seine große Freude gehabt haben. Einmal mehr wurde deutlich, warum gerade diesem Oratorium beim Publikum und den Ausführenden schon seit über 200 Jahren eine nicht nachlassende Popularität beschieden ist.

Ute-Marie Konnerth
05.09.2022