Mahlers Achte – die Masse macht‘s Drucken

Erlebnisbericht des Philharmonischen Chores Bonn und des Bach-Vereins Köln bei Mahlers „Sinfonie der Tausend“

Thumbnail imageGustav Mahlers Achte Sinfonie wurde am 24. und 25. September 2011 aus Anlass des 25. Jubiläums der Kölner Philharmonie dort aufgeführt. Unter der Leitung des Kölner Generalmusikdirektors Markus Stenz musizierten knapp 600 Mitwirkende. Der folgende Text schildert die Produktion aus Sicht der Choristen, namentlich des Philharmonischen Chors der Stadt Bonn und des Bach-Vereins Köln. Weitere beteiligte Chöre waren Mädchen und Knaben der Chöre am Kölner Dom, die Domkantorei Köln, das Vokalensemble Kölner Dom und die Kartäuserkantorei Köln.

Als wir – der Bach-Verein Köln und der Philharmonische Chor der Stadt Bonn – vor rund einem Jahr gefragt wurden, ob wir mit Gürzenich-Kapellmeister Markus Stenz und dem Gürzenich-Orchester die Achte Sinfonie von Gustav Mahler aufführen wollen, mussten wir nicht lange überlegen. Neben einem nicht alltäglichen Stück winkte die Zusammenarbeit mit einem renommierten Sinfonieorchester unter einem anerkannten Dirigenten. So etwas ist für das Chor-Image sehr zuträglich. Vor allem aber hatten wir mit Stenz und seinem Orchester kurz zuvor bereits Mahlers Zweite zur Aufführung gebracht. Diese Zusammenarbeit war – bei einer deutlich kleineren Chorpartie – musikalisch sehr fruchtbar gewesen. Der gleiche Eindruck hatte wohl auch Stenz dazu bewegt, semi-professionellen Chören aus der Region gegenüber Berufssängern den Vorzug zu geben.

Annäherung an das Werk

Thumbnail imageGleich zur ersten Probe im April 2011 erhielten wir eine von Stenz eingerichtete Chorpartitur, in der er seine Vorstellungen von Dynamik, Tempo und Aussprache minutiös vermerkt hatte. Der Chorpart ist schwer, lang und stimmlich fordernd. Deshalb waren die Proben harte Arbeit. Dazu unser Chorleiter Thomas Neuhoff: „Mahlers Achte ist eine Herausforderung für jeden Chor – logistisch und musikalisch. Man muss rechtzeitig trainieren, um genug Kondition für diese stimmliche Höchstleistung aufzubauen.“

Neuhoff hatte uns bewusst auf Chor 1 und Chor 2 in Mahlers Sinfonie verteilt. Dadurch konnten wir nach einer Weile Notenstudium schon das doppelchörige Zusammenspiel üben. Um im September fit für die Aufführung zu sein, probten wir so die ganzen Sommerferien durch – Protest zwecklos.

Wir treffen die anderen

In den zehn Wochen vor der Aufführung fanden sechs Proben mit allen Chören unter Leitung von Markus Stenz statt. Gegen Ende kamen das Orchester und die Solisten hinzu. Stenz machte mit der ersten Probe schlagartig klar: Hier arbeiten Profis und Amateure, die wie Profis arbeiten. Zugleich erwies er sich als überaus einfühlsamer Chordirigent, der seine Klangvorstellung sehr gut verständlich machte und uns dann förmlich zu diesem Ergebnis hin coachte. Eine Teilnehmerin: „Volle Professionalität, die von uns einerseits verlangt wurde, die wir andererseits auch genießen konnten – bei der Arbeit und beim Resultat.“

Ein neues Erlebnis waren die Massenproben mit 350 Sängerinnen und Sängern. Natürlich wurde die „Konkurrenz“ gerade am Anfang aufmerksam belauscht. Ein Mitsänger: „Ich habe niemals zwischen Chorsängern schlechte Stimmung erlebt, aber die Atmosphäre vermittelte mir den Eindruck eines subtilen Konkurrenzbewusstseins untereinander.“

Es wird ernst

Thumbnail imageUnd dann ist endlich der Augenblick da, auf den alle so lange hingefiebert haben: Das Konzert beginnt. Jeder kennt die Noten aus dem „ff“, alle kritischen Stellen sind x-mal geprobt. Und doch ist da diese Anspannung: 2.000 Zuschauer im Saal, CD-Aufnahme, Fernsehproduktion… Was dann kommt, beschreiben Mitsänger so: „ein Fest für Herz und Sinne“ – „ein gemeinsames Empfinden aller 600 Mitwirkenden“ – „eine spirituelle Dimension“ – „ein unvergessliches Erlebnis“ – „Gänsehaut-Garantie“ – „die Wucht des Stückes beeindruckt jedes Mal von Neuem“ – „ein besonderes Glück, mitzuwirken“ – „geht unter die Haut“ – „unbeschreibliche emotionale Momente – „das Größte“.

Das sagen Choristen, die dieses Werk zum Teil bereits mehrfach aufgeführt haben. Für alle ist es die bisher beste Interpretation gewesen. Und alle nennen den gleichen Grund: Der Dirigent Markus Stenz hat mit seiner Art den entscheidenden Unterschied gemacht. Freundlich, präzise, begeisternd, authentisch, klar, inspirierend, oder wie eine Sängerin es auf den Punkt bringt: „Stenz hatte eine unglaubliche Sogwirkung, so dass man sich als Chor von ihm umarmt fühlte und in der Komplexität des Stückes nicht verloren gehen konnte.“ Weitere Erfolgsfaktoren waren sicher die gründliche Einstudierung mit unserem Chorleiter Thomas Neuhoff, große Disziplin der Chöre und eine sorgfältige Organisation.

Die Konzerte wurden vom Publikum in der ausverkauften Philharmonie frenetisch bejubelt. Gerhard Bauer, der Rezensent des Kölner Stadt-Anzeigers, schrieb: „Da saßen also zweitausend Menschen im Saal und fühlten sich so erhoben und erhaben wie vermutlich sonst nie.“

Bei der Nachaufnahme für die CD-Veröffentlichung war noch einmal höchste Konzentration gefragt. Danach ließ es sich Stenz nicht nehmen, alle Choristen in ein Kölner Brauhaus einzuladen und mit jedem Einzelnen persönlich auf den gemeinsamen Erfolg anzustoßen.

Wir ziehen Bilanz

Wir bereuen nichts. Keiner klagt, dass er/sie nur ein Rädchen im Getriebe gewesen sei und ebenso gut hätte zuhause bleiben können. Niemand hätte lieber ein a-cappella-Konzert stattdessen gehabt. Keiner hat sich das Stimmband beim zu hoch oder zu laut singen verrenkt. Nein, alle sind einfach nur glücklich und stolz, bei dieser herausragenden Produktion dabei gewesen zu sein. „Die Zusammenarbeit mit Markus Stenz und dem Gürzenich-Orchester ist eine Auszeichnung für uns, ein ganz großer Glücksfall“, sagt Chorleiter Thomas Neuhoff.

Im nächsten Jahr geht die Zusammenarbeit mit dem Gürzenich-Orchester weiter: Am 18.12.2012 bringen wir gemeinsam das Oratorium „Belshazzar‘s Feast“ von William Walton sowie „Une Cantate de Noël“ von Arthur Honegger zur Aufführung – wieder in der Kölner Philharmonie, diesmal unter unserem Dirigenten Thomas Neuhoff. Mahlers Zweite und Achte haben den Weg dahin geebnet.

www.bach-verein.de
www.philharmonischer-chor-bonn.de

Nicole Völker, Bach-Verein Köln
15.12.2011