Bach-Verein Köln und Bundesjugendorchester initiieren internationales Musikprojekt Drucken

Brittens War Requiem mit 300 Mitwirkenden aus sechs Nationen in Konzerten in Deutschland und Polen

„All a poet can do today is warn.” (Wilfred Owen)

Benjamin Britten hat bekanntlich einen Schwerpunkt seiner Arbeit in musikpädagogischen Projekten mit Kindern und Jugendlichen gesehen. Seine Kinderopern, sein Orchesterführer für junge Menschen und nicht zuletzt seine Werke für Mädchen- oder Knabenchor sind bis heute populär und haben vielen jungen Menschen den Zugang zur Musik geebnet.

Kein Wunder also, dass bei den seit 2005 regelmäßig stattfindenden Jugendprojekten des Bach-Vereins Köln die Musik von Benjamin Britten schon mehrfach eine besondere Rolle gespielt hat.

Thumbnail imageNach der überaus erfolgreichen Produktion der Kantate „Saint Nicolas“ im Dezember 2014 kam Chordirektor Thomas Neuhoff auf die Idee, auch Brittens wohl bedeutendstes Opus, das groß dimensionierte Versöhnungswerk „War Requiem“, einmal mit überwiegend jungen Menschen aufzuführen und auf diese Weise lebendigen Geschichtsunterricht und praktisches Musizieren zu kombinieren: Diese den Opfern der beiden Weltkriege gewidmete Totenmesse wird eigentlich wegen ihres enormen Schwierigkeitsgrades in aller Regel von professionellen Ensembles aufgeführt.

Es waren glückliche Umstände, die dazu führten, dass der Bach-Verein Köln als Kooperationspartner für dieses Projekt Deutschlands jüngster Spitzenorchester gewinnen konnte, das Bundesjugendorchester: Orchestermanager Sönke Lentz, dessen Kinder am „Saint Nicolas“-Projekt teilgenommen hatten, war spontan angetan von Neuhoffs Idee, mit Brittens „War Requiem“ im Gedenkjahr 2018 an den massenhaften Tod junger Soldaten im Ersten Weltkrieg zu erinnern.

Es begannen intensive Planungen einer internationalen Konzerttournee mit dem Endziel Berliner Philharmonie. Außerdem wurde ein umfangreiches pädagogisches Begleitprogramm entwickelt, in das nicht nur für die Ausführenden, sondern auch Schulen im Raum Köln-Bonn eingebunden wurden.

Die inzwischen auf der Website des Bach-Vereins Köln ausführlich dokumentierten Ergebnisse dieses den Konzerten vorausgehenden Schülerprojekts waren und sind ermutigend, trotz der gewichtigen Thematik: Den Kern der Komposition bilden neun Antikriegsgedichte des 1918 kurz vor dem Waffenstillstand getöteten Engländers Wilfred Owen. Sie entstanden unter dem Eindruck schrecklicher Erlebnisse im Schützengraben und sind als kritische, oft provozierende Kommentare in die lateinische Totenmesse interpoliert. Ihre aufrüttelnde Botschaft: Nie wieder Krieg!

Dank der hervorragenden und hoch professionellen Zusammenarbeit zwischen der Geschäftsstelle des Bundesjugendorchesters und dem (rein ehrenamtlich arbeitenden) Vorstand des Bach-Vereins Köln konnte das internationale und im Sinne des Komponisten auf Versöhnung und Gemeinsamkeit ausgerichtete Projekt „War Requiem – Ewig ruhe der Krieg!“ über drei Jahre hinweg entwickelt werden, bevor es nun im Rahmen des Europäischen Kulturerbejahres 2018 – Sharing Heritage einen Abschluss fand, der seinesgleichen wohl suchen dürfte: Ensembles mit insgesamt mehr als 300 überwiegend jungen Menschen aus ganz Europa, deren Urgroßvätergenerationen noch als Kriegsgegner gegeneinander gekämpft hatten, kamen nach intensiven, von Thomas Neuhoff supervidierten Vorbereitungen Anfang April in Köln zusammen, um miteinander zu verschmelzen und anschließend auf Tournee zu gehen.Aus England kam der Girls’ Choir der Kathedrale von Coventry, wo das Werk 1962 uraufgeführt worden war, aus Waterloo, einem wahrlich geschichtsträchtigen Ort in Belgien, reiste der Knabenchor „Les Pastoureaux“ an, um sich mit dem Jugendchor der Bonner Lukaskirche zu verbinden. Der gastgebende Chor des Bach-Vereins Köln hatte mit dem Polnischen Nationaljugendchor einen renommierten, professionellen Partner: 60 MusikstudentInnen im Alter von 18 bis 26 Jahren, die von Chorleiterin Agnieszka Franków-Żelazny perfekt vorbereitet worden waren.Sie alle trafen nun auf das Bundesjugendorchester, bestehend aus 100 Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren, die sich ihrerseits mit gleichaltrigen Instrumentalisten des „Orchestre Français des Jeunes“ zusammengetan hatten – denn das „War Requiem“ verlangt zwei Orchester: ein riesiges Sinfonieorchester sowie ein solistisch besetztes Kammermusikensemble, das hier von dem jungen Amerikaner Daniel Spaw geleitet wurde. Dem internationalen Charakter entsprach auch die Solistenbesetzung mit der türkischstämmigen Sopranistin Banu Böke, dem englischen Tenor James Gilchrist und dem deutschen Bariton Erik Sohn.Die Stimmung während der gemeinsamen Probentage, die aufgrund der langjährigen Kooperation des Bach-Vereins Köln mit dem Kölner Friedrich-Wilhelm-Gymnasium trotz Osterferien in dessen hervorragender Aula stattfinden konnten, war von Anfang an gut. Nach der Übersiedlung in die Kölner Philharmonie konnten sich auch endlich die Klangmassen frei entfalten, und allgemeine Begeisterung breitete sich aus: Wann hat man schon mal diesen Konzertsaal für zwei komplette Probentage zur Verfügung? Das war natürlich auch dem Kooperationspartner WDR zu danken, der das ausverkaufte Kölner Konzert dann am 6. April live im Radio übertrug.

Thumbnail imageDie begeisterten und lang andauernden Standing Ovations in der ausverkauften Philharmonie noch im Ohr, begab sich das riesige Ensemble am 7. April ins polnische Wrocław (Breslau), um tags darauf in einem der schönsten neuen Konzertsäle Europas aufzutreten, dem Nationalen Musikforum, das zugleich die Heimat des Polnischen Nationaljugendchores ist. Alle Ausführenden waren von der phänomenalen Akustik begeistert. Zur guten Stimmung trugen auch die Schönheit der Altstadt und das herrliche Reisewetter bei.Höhepunkt und Abschluss des gesamten Projekts bildete dann der Auftritt in der ebenfalls nahezu ausverkauften Berliner Philharmonie am 10. April 2018, organisiert (und weltweit live im Internet gestreamt) durch das Patenorchester des Bundesjugendorchesters, die Berliner Philharmoniker. Die 30 Sekunden kompletter Stille nach dem letzten Akkord, bevor die begeisterten Berliner in jubelnden Applaus ausbrachen, bewiesen: Die Botschaft dieser Aufführung ist wirklich angekommen! Für die vielen jugendlichen Ausführenden wird dieses Projekt sicherlich unvergesslich bleiben, ein Signal der Hoffnung und Zuversicht auch in unruhiger werdenden Zeiten.

Weitere Informationen: hier

Thomas Neuhoff
16.05.2018