Robert Schumanns Bearbeitung der Johannespassion von Johann Sebastian Bach |
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Sichtung von Schumanns Handexemplar aus dem Robert-Schumann-Haus in Zwickau
Das Wort „empfindsam“ hatte Gotthold Ephraim Lessing als Übersetzung des Wortes „sentimental“ vorgeschlagen. Allmählich wurde „Empfindsamkeit“ zur Bezeichnung einer ganzen Epoche: die Empfindsamkeit und die Erbauung, nicht die „Verkündigung“ gerieten zum Ziel auch der Kirchenmusik. Als Folge dieser Veränderung in der liturgischen Tradition geriet Bachs kirchliches Schaffen allmählich in Vergessenheit. Nur seine Klaviermusik blieb hochgeschätzt, obwohl sie zunächst teilweise nur in Abschriften vorlag. Beethoven soll in Bonn als Knabe von 11 Jahren „größtentheils das wohltemperirte Clavier“ gespielt haben – der Erstdruck dieses Werkes geschah aber erst 1802 durch Simrock in Bonn! So blieb die Johannespassion nach Bachs Tod jahrzehntelang unbeachtet, bis ihre Partitur 1830 von dem Berliner Verleger Trautwein erstmals gedruckt wurde. Gleichwohl musste das Werk auf ein erneutes Erklingen noch lange warten: Erst vier Jahre nach Felix Mendelssohn Bartholdys legendärer Wiederaufführung der Matthäuspassion im Jahr 1829, die die Bach-Renaissance einleitete, brachte die Singakademie zu Berlin auch die Johannespassion in einem öffentlichen Konzert zu Gehör. Der Publikumserfolg war mäßig, was Robert Schumann nicht davon abhielt, im Mai 1848 in Dresden mit dem von ihm gegründeten gemischten Chorgesangverein Choräle und Chöre der Johannespassion zu einem Repertoireschwerpunkt zu formen. Nach seinem Amtsantritt als Düsseldorfer Musikdirektor im Jahre 1850 war sein Hauptanliegen die Aufführung der dort bis dahin noch nie erklungenen Johannespassion. Er schrieb über das Werk an einen Kollegen: „Finden Sie sie nicht um vieles kühner, gewaltiger, poetischer als die nach Matthäus? Diese scheint mir nicht frei von Breiten und über das Maß lang – die andere dagegen wie gedrängt, wie durchaus genial, und von welcher Kunst!“ So gelang es Schumann, das Werk 1851 in Düsseldorf vorzustellen, und zwar in einer eigens von ihm eingerichteten Version. Wie Mendelssohn passte Schumann Bachs Partitur seiner eigenen Zeit an, er ersetzte Instrumente, die nicht mehr gebräuchlich waren und änderte hie und da die Orchestrierung. Außerdem ließ er die Choräle von einem sehr starkbesetzten Kinderchor mitsingen.
In dieser Gestalt führte Blarr das Werk erstmals wieder zum Düsseldorfer Schumann-Fest 2000 auf, nachdem er sich zuvor von Spitzenkräften der Schumann-Forschung hatte beraten lassen. In die Choralsätzen brachte Blarr – gemäß dem Usus zu Schumanns Zeit – zwischen den Verszeilen stilistisch passende kleine Zwischenspiele der Holzbläser aus dem Essener Choralbuch von 1830/40 ein. Diese „Wiedererweckung“ des Werks erregte so viel Aufsehen im Kollegenkreis, dass seitdem Schumanns Bearbeitung der Johannespassion schon mehr als zehnmal erklang, so unter anderem in Berlin, München, Hamburg und in Kiel. Da eine für Hamburg St. Petri in diesem Jahr vorgesehene Wiederaufführung wegen der Corona-Pandemie um ein Jahr verschoben werden musste, erhielt ich die Gelegenheit, die bei meinem Kollegen KMD Thomas Dahl verwahrte Kopie der Partitur studieren zu können, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Leider sind Aufführungen der Schumannschen Bearbeitung zurzeit nur durch sehr schwer erhältliches Leihmaterial möglich. Man müsste einen Verlag zur Veröffentlichung des Werks gewinnen können, um ihm die gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Vielleicht gelingt es Oskar Gottlieb Blarr, dabei fündig zu werden? Das wünsche ich ihm von Herzen. Hans Gebhard ![]()
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