Filmempfehlung: Irene Langemanns Film Das Lied des Lebens Drucken

Beeindruckende Dokumentation zeigt musikalisches Schaffen im Lebensabend

Thumbnail imageDer Begriff „Musikalische Späterziehung“ löst zunächst bei den meisten Menschen sicherlich ein leichtes Schmunzeln aus, bemüht man sich in der Erziehung zur Musik doch vor allem um die Bildung jüngeren Generationen. Dabei ist es doch eigentlich verständlich, dass der Musik in ihrer Universalität auch in Punkto Erziehung keinerlei Grenzen gesetzt seien. Und dass die Musik  dem Menschen auch - und vielleicht sogar vor allem – im Lebensabend ein wichtiges Ausdrucksmittel und eine große Stütze sein kann.

Ein hundertprozentiger "Überzeugungstäter" sei er, sagt Komponist Bernhard König, wenn er über seine neuartigen Musikkonzepte für alte Menschen spricht. Begeistert von der Schönheit der alten „faltigen“ Stimmen, vermittelt er Senioren, wie man Musik meditierend, trauernd, liebend, lernend, protestierend, staunend und beglückt erleben kann.

Thumbnail imageIm Stuttgarter Generationenzentrum Sonnenberg führt der Musiker biographische Interviews mit alten Menschen, um deren verschüttete Träume und Traumata aufzuspüren. Zentrales Thema sind die „Lieblings- und Lebenslieder“. Lieder, die in der eigenen Biographie verankert sind und für eine ganz besondere Geschichte oder Erinnerung stehen. Bei der 78jährigen Magdalena Reisinger löst das Lied „Kann denn Liebe Sünde sein“ einen emotionalen Ausbruch aus. Mit vierzehn Jahren ist sie schwanger geworden. Geächtet von den Dorfbewohnern, täglich von ihrer Mutter verprügelt, brachte sie als fünfzehnjähriges Mädchen eine Tochter zur Welt. Dieses Erlebnis, das auf dramatische, aber auch beglückende Weise ihr Leben geprägt hat, ist für Bernhard König der Ausgangspunkt, das ‚Lied des Lebens’ von Magdalena Reisinger zu komponieren. Stärker als im bloßen Erzählen und Erinnern, kommen in solchen Lebensliedern sehr intensive Emotionen zum Ausdruck.

Diese Arbeit setzt Bernhard König in Köln mit dem Experimentalchor „Alte Stimmen“ fort. Hier darf mitsingen wer mindestens 70 Jahre alt ist und Lust auf musikalische Experimente hat. Der älteste Chorsänger Alfred Adamszak ist 91, und kein bisschen müde - trotz der schlimmen Kriegserlebnisse und der schmerzhaften Abschiede von geliebten Menschen. Auch diese Biographie nimmt der Komponist zum Anlass, um zusammen mit dem Chor ein Lied von ergreifender und expressiver Stärke zu entwickeln.

Thumbnail imageObwohl Bernhard König seit vielen Jahren Musik für die abenteuerlichsten Anlässe erfindet, hat er noch nie ein Projekt erlebt, das so viele Überraschungen bereithält und eine solche zwischenmenschliche Dynamik und emotionale Tiefe entwickelt. Die Autorin Irene Langemann hat seine Arbeit über Monate begleitet und dokumentiert, wie die Magie der Musik die Senioren am Neckar und Rhein beflügelt, wie aus ihren Liebesgeschichten, aus Leidgeschichten Lebenslieder einer Generation werden , die viel durchgemacht und viel zu erzählen hat.

Dieser Film ist nicht nur eine sehr informative und gute Dokumentation, er vermittelt auch Denkanstöße für Chorleitern und Musikpädagogen, ohne sich dies auf die Fahne zu schreiben. Vielleicht gilt er gerade aus diesem Grund als unverzichtbar für besagtes Klientel. Denn er beschreibt nicht nur den Schaffensweg von Königs Kompositionen, nein, er zeigt auch auf, welchen Wert die Begegnungen haben – für die Senioren, wie für den Komponisten.

VDKC, Katharina Meier
19.09.2013