Hubert Parry (1848-1918): Oratorium „Job“ - Eine Entdeckung Drucken

Aus der Praxis für die Praxis und Werkeinführung

Thumbnail imageAuf Empfehlung des mit mir befreundeten Sängers Georg Gädker, der das 70minütige  Oratorium „Job“ (Hiob) des hierzulande kaum bekannten britischen Komponisten Sir Charles Hubert Hastings Parry (1848-1918) 2012 mit dem „Motettenchor Lörrach“ aufführte und dort den Erzählerpart übernahm, studierte ich dieses imposante Werk im Frühjahr 2014 mit meiner Kantorei der Stiftskirche Tübingen ein. Nach anfänglichen Hürden mit dem alten Englisch der „King James Bible“ war der Chor schnell von der Qualität und Ausdrucksvielfalt des Werks überzeugt, in dem dem Chor der Part der „Stimme Gottes“ zukommt.

Die Besetzung des Werks besteht neben Chor und Sinfonieorchester aus den Vokalsolisten (Narrator/Bariton, Hiob/Bariton, Satan/Tenor, Shephard/Sopran), wobei besonders dem Erzähler in den arios gesetzten Orchesterrezitativen und der vielschichtig angelegten Hiob-Partie große Bedeutung  zukommt. In Parrys Komposition klingen immer wieder Erfahrungen mit der Musik Mendelssohns, Brahms‘ und Wagners. In der Rezension des „Schwäbischen Tagblatts“ hieß es: „ein typisch englischer Tonfall von Erhabenheit und großzügiger Gelassenheit. Das Oratorium beginnt und endet mit derselben schwelgerischen Dur-Melodie. Selbst Hiobs zentraler Monolog im tiefsten Leid steht weitgehend in Dur, was seine Glaubensfestigkeit und Zuversicht symbolisiert. Aber auch bei der Darstellung der über Hiob hereinbrechenden Naturkatastrophen und Heimsuchungen bleibt Parry überraschend gemessen und melodiös. Ein reizvolles, lohnendes Werk, dankbar für die Ausführenden und eine Entdeckung für die etwa 600 Motettenbesucher.“

Das privat neugesetzte zuverlässige Orchestermaterial ist über den genannten Motettenchor Lörrach erhältlich, die Partitur und die Klavierauszüge (Nachdruck der gut lesbaren Novello-Ausgabe von 1892) über Boosey & Hawkes. Es lohnt sich, in Großbritannien und nicht über den deutschen Ableger des Verlags zu bestellen. Gerne gebe ich zu Detailfragen dieses entdeckenswerten Werks Auskunft, für das ich mir weitere Aufführungen in Württemberg und darüber hinaus wünsche!

Ingo Bredenbach

Thumbnail imageWerkeinführung

Im Lande Uz lebte ein Mann, der hieß Hiob.
Und dieser Mann war schuldlos und aufrecht,
er fürchtete Gott und mied das Böse.

Buch Hiob 1.1. (Zürcher Bibel)

There was a man in the land of Uz, whose name was Job;
and that man was perfect and upright,
and one that feared God and eschewed evil.

The Book of Job, 1.1. (The Holy Bible)

Das Buch Hiob im Alten Testament hat nicht an Aktualität verloren. Es stellt die Frage nach der Theodizee, der Gerechtigkeit Gottes: Wie ist das Leiden eines unschuldigen Menschen mit seinem Glauben an Gott vereinbar? Wie kann es sein, dass guten Menschen Böses widerfährt? Bis heute ist Hiob Symbol für den unschuldig leidenden Menschen.

In der Geistes- und Kulturgeschichte hat das Buch Hiob eine Fülle von künstlerischen Deutungen erfahren: Zum Beispiel im Prolog im Himmel von Goethes Faust I. (1808), in Heines Gedicht Lazarus I (1850) und in Joseph Roths Roman Hiob (1930).

Fanny Hensel, Schwester Felix Mendelssohns, beginnt mit der Niederschrift ihrer 15-minütigen Hiob-Kantate für Soli, Chor und Orchester, als 1831 die Choleraepidemie über Berlin hereinbricht. Die Kantorei der Stiftskirche hat diese Hiob-Kantate im November 2012 im Rahmen der MOTETTE aufgeführt. Das persönliche Erleben von Leid und Verzweiflung führt zur Wahl dieses Motivs. Bis zur Jahrhundertwende bringen rund ein Dutzend Komponisten ein Hiob-Oratorium zu Papier.

Als Hubert Parry 1891 den Auftrag erhält, für das Musikfestival in Gloucester ein großes Oratorium zu komponieren, spricht ihn das alttestamentliche Buch Hiob besonders an, da es nicht allein theologische, sondern vor allem auch philosophische Fragen berührt. Parry empfindet für Hiob tiefes Mitgefühl, auch durch seine eigenen Glaubenszweifel. Wie aber sollte er den großen Erzählbogen des umfangreichen Buches Hiob in ein ansprechendes Libretto fassen? Wie sollte er seinem Werk ein ausgewogenes Maß an gedanklichen und dramatischen Proportionen geben?

Parry beschränkt die dramatis personae auf vier ausschließlich männliche Charaktere: Narrator/Erzähler (Bariton), Job/Hiob (Bariton), Satan (Tenor) und Sheperd Boy/Hirtenjunge (Knabensopran).

Die 42 Kapitel des biblischen Hiob-Buches fasst Parry in vier Szenen zusammen. Dabei übernimmt der Chor die dramaturgische Rolle der Stimme Gottes und dominiert so das ganze Werk.

Die 1. Szene erzählt vom Wohlstand Jobs  und von der Wette zwischen Gott und Satan. (Buch Hiob 1. In der 2. Szene erklingt das Lied des Hirtenjungen (Text Parry). Dann folgt die Schilderung des Untergangs von Jobs Familie und der Zerstörung seines Besitzes (Buch Hiob 1,20-22). 3. Szene: Nach einem kurzen Hinweis des Erzählers auf den Besuch von Jobs Freunden klagt Job Gott sein Leid - in dem ausgedehnten Solo Lamentation of Job - und verflucht den Tag seiner Geburt (Buch Hiob 2,11-13). In der 4. Szene, dem längsten Abschnitt des Oratoriums, wird das gesamte Gotteswort des 38. Kapitels durch den Chor vorgetragen. Nach der Einsicht Jobs berichtet der Erzähler in einem kurzen Epilog vom versöhnlichen Ende der Geschichte Jobs (Buch Hiob 38-42).

Die Uraufführung wurde ein großer Erfolg. Das Oratorium wurde in zahlreichen Städten Großbritanniens aufgeführt. Die erste Aufführung in London wurde von Parry selbst dirigiert.

Nach dem Erfolg von Job komponiert Parry ein weiteres Oratorium, King Saul (1894), das allerdings nicht denselben Erfolg hatte. Job ist kürzer als andere Oratorien und in einer experimentell kühnen Weise komponiert - einzigartig  in der britischen Chormusik der damaligen Zeit.

Thumbnail imageSir Charles Hubert Hastings Parry (1848-1918)
Hubert Parry, 1848 in Bournemouth geboren, wuchs in einer Familie der englischen Oberschicht auf. Schon während seiner Schulzeit am Eton College erhielt er eine grundlegende musikalische Ausbildung. Den Universitätsabschluss für Musik erwarb er in Oxford. Kompositionsunterricht erhielt er in London bei William Bennett, der mit Mendelssohn und Schumann bekannt war. In den Ferien studierte er in Stuttgart bei Henry Pierson. Von dem Pianisten und Wagner-Verehrer Edward Dannreuther erhielt er wichtige Anregungen. Dieser führte 1880 Parrys erstes großes Werk, das Klavierkonzert in Fis-Dur, im Crystal Palace auf.

Neben seiner Kompositions- und Dirigententätigkeit veröffentlichte er zahlreiche musikwissenschaftliche Werke. Er war Hauptautor des „Grove’s Dictionary of Music“, das von 1879 an erschien. Edward Elgar sagte in seinen späteren Jahren, dass Parrys musikwissenschaftliche Publikationen eine große Hilfe für ihn waren und nannte ihn „the head of our art in this country“.

Parrys Ehe mit Lady Maude Herbert, der Schwester seines Freundes, dem Earl of Pembroke, gestaltete sich schwierig, nicht nur wegen der fragilen Gesundheit seiner Frau, auch wegen ihres Desinteresses an Musik.

Ende 1882 erhielt Parry einen Lehrauftrag für Musikgeschichte am neu geschaffenen Royal College of Music, dessen Direktor er 1894 wurde und bis zu seinem Tode blieb. Zu seinen Schülern gehörten Ralph Vaughan Williams, Gustav Holst und Herbert Howells. Parry war nicht nur Komponist, sondern auch engagierter Lehrer und Mentor für seine Schüler, die ihn tief verehrten. Zum Beispiel rettete Parry das Leben Herbert Howells, indem er für den armen, schwer erkrankten Studenten die Behandlungskosten der damals ersten radiologischen Tumortherapie in England übernahm.

Parrys Musikstil stand unter dem Einfluss der deutschen Musiktradition von Buxtehude bis Brahms, zu einer Zeit als für die meisten englischen Komponisten diese Musik noch weit weg war. An der Schwelle zum 20. Jahrhundert bereitete Parry den Boden für die sogenannte English Musical Renaissance, mit der die britische Musik nach einem Jahrhundert der Isolation wieder ein internationales Publikum erreichte. Als einer der führenden englischen Komponisten für Chormusik fand Parry besonders in seinen melodiös mitreißenden Chorsätzen eine neue Musiksprache, die ansatzweise an Wagner und Brahms erinnert.

Mit der Ode Blest Pair of Sirens (1887) gelang ihm 1887 ein erster Höhepunkt englischer Chormusik. Weitere wichtige Kompositionen sind die Ode on Saint Cecilia's Day (1889), Judith (1888) und Job (1892). Die Elegy for Brahms (1897) ist eine persönliche Hommage zum Tode von Johannes Brahms.

Parry starb 1918 an der spanischen Grippe und wurde in der St. Paul’s Cathedral in London beigesetzt. Nach seinem Tod war er für viele Jahre vergessen. In den letzten Jahren werden Parrys Kompositionen immer mehr entdeckt, aufgeführt und aufgezeichnet.

Das englische Königshaus schätzt Parrys Kompositionen. Die Hymne I was glad (Psalm 122) wurde bei offiziellen Anlässen schon mehrfach aufgeführt, bei der Krönung King Edwards VII. (1911), bei der Hochzeit von Prince Charles und Lady Diana (1981) und beim Goldenen Thronjubiläum von Queen Elizabeth II. (2002). Die Hymne Jerusalem (1916) („And did those feet in ancient time…“) nach einem Gedicht von William Blake, aufgeführt anlässlich der Hochzeit von Prince William und Lady Catherine in der Westminster Cathedral, gilt inzwischen als inoffizielle englische Nationalhymne und wird in London alljährlich gesungen bei der „Last Night of the Proms“.

Margarete Knoedler-Pasch
04.12.2014