Helmuth Rilling dirigierte Matthäuspassion mit dem Bach-Verein Köln Drucken

Ein persönlicher Erfahrungsbericht von Reinhart Weiß

Thumbnail imageDa dies ein sehr persönlicher Bericht werden soll - hier die Vorgeschichte: Ich hatte gehört, dass Helmuth Rilling am Karfreitag, den 3. April 2015 die Matthäuspassion in der Kölner Philharmonie dirigieren würde. In den 70er Jahren hatte ich in Frankfurt bei ihm studiert und fragte nun beim Bach-Verein Köln an, ob man mir gestatten würde, dieses eine Konzert extern mitzusingen, um meinen verehrten Lehrer noch einmal erleben zu können. Dieses wurde unter der Auflage von sechs Proben (alle innerhalb einer Woche!) zugesagt, und so erlebte ich in der ausverkauften Philharmonie ein Aufeinandertreffen von mehreren Glücksfällen: Neben dem Gürzenich-Orchester als Veranstalter ein über sich selbst hinauswachsender Bach-Verein und ein Helmuth Rilling in meditativer Souveränität.

Vor der Probenphase mit Rilling war umfangreiches Material ausgegeben worden, wo Rilling für eine frühere Aufführung auf rund einem Dutzend Seiten detaillierte Angaben über Tempi, Dynamik, Phrasierungen, Sprache und lineare Gestaltung gemacht hatte. In der viertägigen Probenphase mit ihm lernte der Chor dann kennen, was so typisch für Rilling ist: mit einem Satz oder manchmal auch nur einem Wort erreicht er die Phantasie der Sänger, die dann „von selbst“ darauf kommen. Das Ergebnis ist eine Intensivierung, die nicht von oben aufgedrückt wird, sondern der Sänger sich selbst abfordert.

In der Absicht, die Doppelchörigkeit klanglich deutlich zu machen, waren die beiden Blöcke mit je 45 Sängern 30 Meter voneinander aufgestellt. Das ist hohes Risiko bei schnellen Sechzehntelbewegungen - und nicht nur da! Die erreichte Präzision bei erhalten gebliebener Klanglichkeit sucht ihresgleichen und stellt den Chor in eine Reihe mit den besten Chören unseres Landes. Man hat den Eindruck, dass bei allen Sängern die umfangreiche Arbeit im Chor einen wesentlichen Anteil ihrer Lebensqualität darstellt! In diesem Zusammenhang sollte auch erwähnt werden, dass der Bach-Verein Köln mit seinem umtriebigen Dirigenten Thomas Neuhoff erst vier Wochen vor der Matthäuspassion auch die Johannespassion in der Trinitatiskirche und nur zwei Wochen nach dem Rilling-Gastspiel auch Händels „Saul“, wiederum in der Philharmonie, aufgeführt hat. Googeln Sie doch mal! 

Helmuth Rilling hat die mehr als dreistündige Aufführung wieder auswendig dirigiert (Ich habe ihn nie anders kennengelernt!). Das ist eine große Leistung des fast 82-jährigen, dessen lebenslang erworbene Kompetenz sich uns gänzlich unautoritär mitteilte. Zu seiner Bescheidenheit passt auch, dass er beim schier endlosen Schlussbeifall der Forderung des Publikums, sich einmal allein zu zeigen, konsequent widerstand und nur zusammen mit den Mitstreitern auftrat.

Der Verband Deutscher KonzertChöre, zu dessen Mitgliedern auch der Bach-Verein Köln zählt, hat 2008 den Georg-Friedrich-Händel-Ring als seine höchste Auszeichnung an Helmuth Rilling vergeben. Das Zusammenfinden von Chor und Dirigent aus unserem Verband wurde zu einem denkwürdigen Ereignis.

Reinhart Weiß, VDKC
11.05.2015