Hans-Christoph Rademann und die Gaechinger Cantorey (Holger Schneider)
Hans-Christoph Rademann und die Gaechinger Cantorey (Holger Schneider)

„VISION.BACH – Mit Bach das Leben begreifen“ – das großangelegte Kantatenprojekt der Internationalen Bachakademie Stuttgart

1723 trat Johann Sebastian Bach seine Stelle als Thomaskantor in Leipzig an.

Mit wahrem Feuereifer stürzte der neue Amtsinhaber sich ab dem 20. Mai, dem ersten Sonntag nach Trinitatis, auf die Komposition und Aufführung neuer Kantaten. Über sechzig Stücke dieser Art bekamen die Leipziger Gottesdienstbesuchenden bis zum Dreifaltigkeitssonntag des Folgejahres, dem 4. Juni 1724, zu hören – Sonntag für Sonntag, Feiertag für Feiertag, Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten eingeschlossen. In dieser kurzen Spanne schuf Bach ein geschlossenes Konvolut geistlicher Musik von außergewöhnlicher Dichte und Ausdruckskraft, das heute als erster Leipziger Kantatenjahrgang bezeichnet wird.

Genau 300 Jahre später, ab Mai 2023, haben Hans-Christoph Rademann und die Gaechinger Cantorey es sich zur Aufgabe gemacht, sich Bachs Leipziger Kantatenschaffen umfassend zu widmen. Unter dem Titel „VISION.BACH – Mit Bach das Leben begreifen“ brachten sie alle Kantaten des ersten Jahrgangs in chronologischer Reihenfolge in Stuttgart und Umgebung zur Aufführung. Parallel zu den Konzerten entstand eine umfangreiche Album-Edition bei hänssler Classic – hochkarätige Aufnahmen, die Auszeichnungen wie den OPUS KLASSIK 2024 und internationale Aufmerksamkeit erhielten. Presse und Publikum würdigten gleichermaßen die organische Verbindung von Chor und Orchester sowie die Klarheit der musikalischen Rhetorik, mit der die Kantaten als klingende Deutung ihrer Texte erfahrbar wurden. Die Süddeutsche Zeitung sprach von einer Interpretation voller „elementarer Musizierlust und prägnantem Stilempfinden“.

Die bereichernde künstlerische Erfahrung und die große Resonanz des ersten Kantatenjahrgangs gaben Anlass, das Abenteuer VISION.BACH fortzusetzen. Seit der Saison 2025–26 widmet sich das Projekt Bachs drittem Leipziger Kantatenjahrgang aus den Jahren 1725–27. Zahlreiche Termine stehen auf dem Plan, darunter am 10. Januar 2026 „VISION.BACH – Liebster Jesu, mein Verlangen“ sowie am 17. Juli 2026 „VISION.BACH – Gott fähret auf mit Jauchzen“. Diese Termine markieren jedoch weniger einzelne Ereignisse als Stationen eines langfristigen Unternehmens, das Bach als Zeitgenossen begreift. VISION.BACH versteht die Kantaten als klingende Lebensdeutung – damals wie heute.

VISION.BACH heißt das ambitionierte Projekt, weil es eine Vorstellung von dem vermitteln will, was Bach in dieser kurzen Spanne überhaupt geleistet hat. VISION, weil es ihm gelang, mit seiner Musik die Menschen, die sie in Leipzig Woche für Woche hörten, offenbar anzusprechen, mit einer neuen, individuellen Kunst das Wort des Evangeliums zu illustrieren, zu vertiefen, auszudeuten. VISION, um erneut über diese Musik nachzudenken, darüber, was sie in Verbindung mit den Texten uns heute zu sagen hat. Genau das ist seit über vierzig Jahren die VISION der Bachakademie: Bachs Musik in unsere Zeit zu übersetzen.

Elias Tur

17.12.2025

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