Potenzial des Amateurmusizierens unterstützen
„Jeder Fremde und jedes hinzutretende Mitglied findet darin etwas, wo die Tugend gern verweilt: Aufmerksamkeit ohne sichtbare Anstrengung, Schönheit ohne Vorzug, Mannigfaltigkeit aller Stände, Alter und Gewerbe, ohne affektierte Wahl; Ergötzung an einer schönen Kunst, ohne Ermüdung; jede Vermischung von Geschlechtern, gleich einem Blumengarten.“[1]
Mit diesen Worten schildert Goethes Freund und Musikberater Carl Friedrich Zelter vor etwa 200 Jahren die Vorteile dieser wundervollen Tätigkeit am Beispiel der bereits 1791 gegründeten Singakademie zu Berlin. Das demokratische Miteinander war bereits damals eine herausgehobene Tugend und wurde im Zeitalter der Aufklärung als eine besondere Chance gesehen.
Den Gästen des Parlamentarischen Abends der Amateurmusik des Bundesmusikverband Chor & Orchester (BMCO) am 16.10.2024 in der Vertretung des Bundeslandes Schleswig-Holstein in Berlin klangen diese Worte mehrfach in den Ohren. Benjamin Strasser, MdB und Präsident des BMCO, hob in seinem Grußwort die Anstrengungen der letzten Jahre hervor, in denen die Bundesregierung seit Gründung des Dachverbandes im Jahr 2019 diesen regelmäßig mit Millionenbeträgen unterstützte. Der inzwischen ins Leben gerufene Amateurmusikfonds ist einerseits eine Erfolgsgeschichte, andererseits hoffnungslos überzeichnet. Im Jahr 2023 konnten von beantragten Projektmitteln nur 25 % bewilligt werden, 2024 waren es 24 %. Die mit Stolz am Abend präsentierte Broschüre gibt somit über Erfolg wie auch künftige Aufgaben und Notwendigkeiten Auskunft.[2]
Als Erfolg kann auch gewertet werden, dass der Amateurmusikfonds erstmals einen eigenen Haushaltstitel beim Bund hat. Präsident Strasser schränkte allerdings ein, dass die dafür veranschlagten 1 Millionen Euro einen herben Rückschritt gegenüber 5 Millionen Euro im Jahr 2023 und 4,6 Millionen Euro im Jahr 2024 bedeuten würden. Vor dem Hintergrund solcher Entwicklungen zeigt sich die dringende Notwendigkeit, mit den Abgeordneten des Bundestages ins Gespräch zu kommen und die Bedeutung der Amateurmusik nicht nur für das Musikland, sondern für die Demokratie ganz allgemein hervorzuheben. Hierzu wird es am 28.10.2024 ein erstes Diskussionsforum im digitalen Format geben. Der BMCO hat sich mit dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) zusammengetan und innerhalb der Initiative „#MachMehrDraus!“ eine Veranstaltung ins Leben gerufen, in der die Bedürfnisse und Chancen des Amateurmusizierens im Mittelpunkt der Diskussion stehen.
Mit einer Fülle von Initiativen versuchen BMCO und VDKC das Amateurmusikwesen in Deutschland zu unterstützen, zu beleben und in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. Dazu gibt es viele Gründe, insbesondere die Tatsache, dass es über 14 Millionen Menschen in Deutschland gibt, die in ihrer Freizeit die Stimme zum Singen oder ein Instrument zum Spielen gebrauchen. In den seltensten Fällen tun sie das allein: Sie gehen in Chöre, Orchester, Kantoreien, Jazzorchester, Gospelchöre, Jugendsinfonieorchester und vieles mehr, wo sie nicht nur ihre Leidenschaft ausleben, sondern miteinander kommunizieren, aufeinander hören und sensibel auf die Stimme oder das Instrument der Anderen reagieren. Es gibt kaum ein besseres Bild für ein gelingendes demokratisches Miteinander als das aktive, vitale Musizieren.
Der Verband Deutscher KonzertChöre selbst blickt gespannt auf sein bevorstehendes 100-jähriges Jubiläum. Sein Vorgängerverband wurde 1925 im gleichen Gebäude gegründet, in dem Zelter einst probte. Und seine wechselvolle Geschichte erzählt viel von den Chancen, aber auch Bedrohungen, denen sich das Musizieren immer wieder ausgesetzt sah. Darüber wird nicht nur unser Chorfest in Weimar am 10. und 11. Mai 2025 Auskunft geben, sondern auch eine Aufarbeitung unserer Geschichte in Form einer Jubiläumsschrift.
Der Blumengarten Zelters ist kein Urwald: Er muss gepflegt werden!
Ekkehard Klemm
24.10.2024