CHORizonte: Reflektionen zur Chormusik des 21. Jahrhunderts
Jara Hengstenberg im Gespräch mit Judith Kamphues (Sängerin, Gesangslehrerin, Chorleiterin aus Berlin) am 27. Januar 2025.
J.H.: Wie sieht bei Ihnen der Alltag in der Chorarbeit in Hinblick auf die Probenarbeit und deren Vorbereitung aus?
J.K.: Alles beginnt mit der Suche nach neuen Stücken und mit dem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Ich erarbeite Probenpläne, besorge die Noten und schreibe Infomails an die Sängerinnen.
Welche Aspekte an der Chorarbeit bereiten Ihnen am meisten Freude?
Wenn die Stücke, die die Sängerinnen mit Skepsis angegangen sind, zu Lieblingsliedern werden, freue ich mich besonders. Den (nicht nur) musikalischen (und nicht nur meinen eigenen) Horizont zu erweitern, ist mein besonderes Vergnügen. Die Sängerinnen musikalisch und klanglich über sich hinauswachsen zu lassen, ohne sie zu überfordern, ist mein persönlicher Spaß.
Welche Herausforderungen gibt es in Ihrer Chorarbeit und wie gehen Sie diese an?
Besonders herausfordernd finde ich, dass ich es nicht allen recht machen kann. Das muss ich ja auch nicht, denn es gibt viele Chöre in Berlin und somit genügend Angebote. Trotzdem möchte ich natürlich, dass sich alle wohlfühlen und mit einem Energie-Plus zurück in die Arbeitswoche gehen.
Welche Rolle spielt die Stimmbildung in der Probenarbeit? Nimmt sie heutzutage eine größere Rolle ein?
Seit meinem Studium arbeite ich als Stimmbildnerin bei diversen Chören. Sowohl bei Konzertchören in Hamburg und Berlin als auch beim Staats- und Domchor Berlin wird Stimmbildung großgeschrieben und ernsthaft betrieben. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil der Probenarbeit. Die meisten mir bekannten Chorleiterinnen und Chorleiter können selber ihre Chöre gut einsingen, sind aber froh, wenn es jemand anderes übernimmt. Ein Pianist lässt ja auch lieber den Klavierstimmer an sein Instrument…
Wie hat sich in Ihren Augen die Chorarbeit im Gegensatz zu früher beispielsweise in den Aspekten von Repertoire und Führungskultur verändert?
Ich bin in einem Chor aufgewachsen, in dem der Chorleiter zwar der Chef war, das Repertoire bestimmt und die Proben geleitet hat, wir Sängerinnen und Sänger als Jugendliche aber auch schon Aufgaben übernommen haben, vom Notenwart bis zur Betreuung der Jüngeren, die uns das Gefühl vermittelten, nicht nur für die Musik, sondern für die ganze Gruppe mitverantwortlich zu sein. Ich bin dankbar, dass wir auch in meinen heutigen Chören wirklich respektvoll und konstruktiv miteinander umgehen. In allem, was wir tun, sollten wir ein Vorbild für die jüngeren Sängerinnen und Sänger sein.
Wie wird sich die Arbeit im Chor in Zukunft verändern? Was werden Probleme sein und wie werden diese angegangen?
In den Kinderchören wird es schwieriger, geeignete Probenzeiten anzubieten. In Berlin haben wir z.B. gebundene Ganztagsschulen. Wenn ein Kind danach noch zur Chorprobe kommt, ist es müde und erschöpft. Für Erwachsene zwischen 25 und 50 Jahren ist es nicht einfach, neben Studium, Arbeit, Familie und Betreuung von Kindern und Älteren regelmäßig zu Chorproben zu kommen. Da greift das Konzept Projektchor. Chöre mit Sängerinnen und Sängern Ü50 werden gern unterschätzt, sind aber in meinen Augen die entspannteren und stimmigeren Gruppen.
Werden Chöre immer ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft sein und was motiviert Menschen, im Chor zu singen?
In unserer abendländischen Kultur wird Chorgesang immer ein fester Bestandteil des sozialen Miteinanders sein, nicht nur in der Kirche und im Konzertsaal, sondern auch in Schulen und Vereinen. Nicht zuletzt der gesundheitliche Aspekt – singen kann Demenz, Alzheimer und Depressionen vorbeugen – wird immer bedeutender.
VDKC
01.04.2025