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Start Service Beiträge des VDKC Robert Schumanns Missa sacra op. 147: Ein vertonter „Welt-Text“ - eine Fundgrube für Chöre
Robert Schumanns Missa sacra op. 147: Ein vertonter „Welt-Text“ - eine Fundgrube für Chöre Drucken E-Mail

Tilman Lücke im Werkstattgespräch mit Wolfgang Kläsener

Thumbnail imageTilman Lücke: Das breite Publikum kennt von Robert Schumann vor allem die Liederzyklen und die Kammermusik - eine große „heilige Messe“ für Chor und Orchester oder Orgelbegleitung wirkt da etwas exotisch. Welche Stellung nimmt denn die Missa sacra in seinem Werk ein?
Wolfgang Kläsener: Schumann wird als geistlicher Komponist bis heute eigentlich überhaupt nicht wahrgenommen. Das ist schade, vor allem für die Konzertchöre! Es gibt zwar sehr wenige, aber doch sehr bedeutende Werke dieser Art von ihm. Das Schwesterwerk der Missa sacra, sein Requiem, wird sogar noch seltener aufgeführt. Dass er im Titel der Messe ausdrücklich das Wort „sacra“ verwendet, überrascht schon ein wenig: Damit grenzt er das Werk stark von der sonstigen weltlichen Literatur ab.

Entscheidend ist aber, dass Schumann sich nicht an eine bestimmte Konfession oder Religions­gemeinschaft wendet, sondern an ein allgemein-religiöses, naturreligiöses Grundgefühl. So wie es im Zeitalter der Romantik, im Zeitalter des Sturm und Drang von vielen Künstlern empfunden wurde. Für uns heute macht das die Messe attraktiv auch für Chöre, die sich sonst mit weltlicher Musik beschäftigen - sie können da auch mal in geistliche Musik „hineinschnuppern“.

Ihr Ensemble, die Kantorei Barmen-Gemarke in Wuppertal, tritt seit der Gründung 1946 glei­chermaßen im Konzertbetrieb wie in regelmäßigen Kantate-Gottesdiensten auf. Wie sind sie auf diese Messe gestoßen?
Wir suchen eigentlich immer wieder nach neuen Herausforderungen, von Uraufführungen bis zu Ausgrabungen ganz alter Musik. Als wir unsere Konzertsaison für das Jahr 2006 konzipierten, haben wir uns gefragt, wie der 150. Todestag Schumanns in unserem Programm gewürdigt wer­den kann. Da haben wir dann die Missa sacra gewählt. Und dann haben wir entschieden, dass sich eine Vertiefung lohnt: Zum 200. Geburtstag des Komponisten 2010 gab es eine Wiederaufnahme. Beim  Neustudium der Partitur ist mir erneut aufgegangen oder hat sich mir bestätigt, welch hervorragende Musik Schumann da in der Mitte des 19. Jahrhunderts komponiert hat.

Robert Schumann schrieb die Messe 1852 in Düsseldorf, wo er zwei Jahre zuvor das Amt als „städtischer Musikdirektor“ angetreten hatte. Hat er damit seinen Kulturschock verarbeitet, den Wechsel der Umgebung vom ostdeutschen, sächsischen Protestantismus in den rheinischen Ka­tholizismus? Also eine Gefälligkeitskomposition an das katholisch geprägte Umfeld geschrieben?
Das mag vielleicht eine Rolle gespielt haben. Das ist aber nicht entscheidend, mit Einordnungen wie „protestantisch“ oder „katholisch“ kommen wir hier nicht weiter. Denn seine lateinische Textvorlage stellt er aus dem „Ordinarium Missae“ zusammen, einem gewissermaßen über­konfessionellen Text. Schumanns spezifische religiöse Herkunft, oder was beruflich von ihm in Düsseldorf erwartet wurde, konnte er hinter sich lassen, als er sich an die Vertonung dieses ganz allgemeingültigen, man könnte sagen „Welt-Textes“ machte. Er hat sich vielleicht gedacht: Wenn ich schon ein geistliches Werk schreibe, dann mit dieser Vorlage - da kann ich auch die freien Ideen, die freien expressiven Kräfte entfalten und bin nicht zu sehr auf das einzelne Wort fixiert.

Wie komponiert er diese Freiheit? Wie wirkt sich das im Detail aus - zunächst einmal in den ers­ten beiden Sätzen, dem Kyrie und dem Gloria?
Eigentlich ist dieses Opus 147 gar nicht so sehr als geistliches Werk zu lesen. Es gibt eher aus­komponierte Grundtendenzen, Grundstimmungen. Das zeigt sich schon in diesen ersten beiden Sätzen. Das Kyrie beginnt mit einer sphärischen Musik, die zunächst eine Situation von Er­barmensbitte, von Anrufung erzeugt. Und sich erst allmählich entwickelt zu einer Musik, die dann tatsächlich das „Kyrie Eleison“ ausdrückt, also die Anrufung des Christos um Erbarmen themati­siert.

Beim folgenden Gloria ist es ähnlich, zunächst steht natürlich der Lobpreis Gottes, das große „Ehre sei Gott in der Höhe!“ im Vordergrund. Dieses wird aber auf zwei verschiedene Weisen vertont: am Anfang eher plakativ, hymnisch, homophon und mit einem fugierten Abschnitt, bei dem das „Gloria in excelsis Deo“ durch die Stimmen geführt wird. Erst in den folgenden Passagen - „Et in terra pax“ und „Laudamus te, benedicimus te“ - geht dann Schumann Abschnitt für Ab­schnitt vor und vertont konkreter den Text und geht von Idee zu Idee, von Empfindung zu Emp­findung. Erstmalig im Verlauf der Messe komponiert er ein Sopran-Solo über die Worte „Gratias agimus tibi“.

Wenn ich auf diesen Anfang der Messe aus der Sicht der klassischen Kirchenmusik schaue, dann denke ich, dass weniger das einzelne Wort vertont ist, sondern eher die Idee, der Gedanke oder die Stimmung des Gedankens. Insofern könnte man sogar sagen, dass es im eigentlichen Sinne gar keine traditionelle „Vertonung“ ist, sondern ein „Entlangkomponieren“ am Text. Der bietet eben sehr viele facettenreiche Gesten und wurde dadurch für Schumann so interessant.

Thumbnail imageEs gibt aber auch Wendungen, die deutlich  in der Tradition der Messvertonungen stehen - wenn er „Et in terra pax“ als dunkel-düstere Bewegung in die Tiefe komponiert und dem expressiven „Gloria“ gegenüberstellt....
...die gibt es schon auch, solche Wendungen. Aber es ist schon auffällig, wie Schumann das pla­kative „Gloria!“ immer wieder hereinrufen lässt und dabei eben nicht ganz linear am Text entlang komponiert, sondern es erneut hervornimmt. Ein kompositorisches Mittel, das er dann beim fol­genden Credo sogar noch stärker benutzt, um immer wieder das Motto, die Überschrift der Kom­position einzuflechten. Bei „Et in terra pax“ wird die Musik in der Tat zunächst lyrischer, aber das „Laudamus te“ ist bei ihm eben nicht - wie in vielen anderen Mess-Vertonungen - eine große hymnische Preisung, sondern sie beginnt bei ihm im Piano und steigert sich dann erst beim „Glo­rificamus“. Die Art und Weise, wie zu loben ist, die kann sich bei Schumann also, obwohl es ei­gentlich der gleiche Grundaffekt ist, aus dem Piano ganz allmählich ins Forte steigern, so dass die große Geste des Lobs erkennbar wird, aber nicht so sehr das einzelne Wort vertont ist.

Sie hatten ein Sopran-Solo schon angesprochen, es werden ja außerdem auch ein Tenor- und ein Bariton-Solist benötigt - stellt die Messe hohe technische Anforderungen an diese Sänger?
Eigentlich nicht, das können auch profilierte Choristen übernehmen. Die Sopranistin hat quantita­tiv am meisten zu singen, die männlichen Solisten haben im „Benedictus“ ihren ersten Einsatz, aber auch das sind sehr lyrische Partien, von einer gut ausgebildeten Chorstimme eigentlich dank­bar zu besetzen.

Wenn wir schon über die Besetzung sprechen: Schumann selbst hat sowohl eine Orgelbegleitung als auch eine Orchesterfassung notiert. Welche bevorzugen Sie?
Schumanns erste Fassung war wohl diejenige für „sein“ städtisches Orchester in Düsseldorf, 1853 schrieb er dann die Orgelfassung, vermutlich für die Teilnahme an einem englischen Wettbewerb, der eine solche Besetzung vorschrieb. Wenn man die große Orchesterfassung hört - zu Schumanns Lebzeiten übrigens kam es offenbar zu keiner Komplettaufführung der Messe mehr -, begreift man noch mehr den Ideenreichtum, die Expressivität dieser Musik.

Die Orgelfassung hat den Vorteil, dass wir sie günstiger und einfacher aufführen können, auch an entlegenen Orten, wo die Orchesterfassung die Möglichkeiten sprengen würde. Sie hat mit einer guten Disposition an der Orgel auch durchaus ihren Reiz, weil sie dann nämlich besonders in die In­nigkeit zurückgehen kann. Sehr charaktervoll können dann die Kontraste hervortreten zwischen dem lyrischen Piano und dem lobpreisenden Fortissimo - durch die Registerwahl, durch die Wechsel der Manuale und durch das Schwellwerk.

Sind die Anforderungen an den Organisten so hoch, dass man ihn auf jeden Fall eigens besetzen muss? Oder wäre auch eine Chorleitung von der Orgel aus denkbar?
Sie brauchen einen guten Organisten, unbedingt. Er muss sich auch intensiv mit dem Orgelpart auseinandersetzen, denn Schumanns Satz ist bei aller vordergründigen Klarheit durchaus kom­plex, seine harmonischen Wendungen, seine manchmal aus dem Takt schreitenden rhythmischen Akzente verlangen doch ein hohes spieltechnisches Können. Die Partitur ist überhaupt für den Dirigenten und für den Chor durchaus anspruchsvoll - für einen ambitionierten Laienchor aber zweifellos realisierbar.

Nach dem gut vierminütigen Kyrie und dem knapp zehnminütigen Gloria folgt als dritter Satz das Credo. Für den vergleichsweise umfangreichsten Text der Messe schreibt Schumann relativ wenig Musik, so dass das ganze Glaubensbekenntnis nur siebeneinhalb Minuten dauert.
Das Credo ist vielleicht am verblüffendsten, weil es zunächst so lyrisch daherkommt mit versetz­ten rhythmischen Akzenten und synkopierten Wendungen und dabei sehr schöne Wirkungen für die Einzelchorstimmen erreicht, allein wenn die Männer dabei bis zur Vierstimmigkeit aufgefä­chert werden. Es ist insgesamt ein sehr vielseitiger Satz, aber sehr kompakt komponiert. Beson­ders gelungen ist der Übergang vom ganz charaktervoll-innigen „Et incarnatus“ zum Aufbruch der Auferstehung „Et resurrexit“. Die Musik wird hier sehr packend ins strahlende C-Dur zurück­geführt, nachdem vorher Es-Dur vorherrschte. Hier faszinieren vor allem der harmonische Reichtum und die „Dissonanzenfreude“. Damit gelingen Schumann ganz subtile einzelne textliche Aussagen und Gesten. Ich würde das Credo insgesamt vielleicht als eine „Fundgrube“ komposito­risch untypischer Stellen ansehen, die man in dieser Art in der Musikgeschichte vor Schumann noch nicht gehört hatte.

Nach dem Credo wendet Schumann den Charakter der Messe auf eigentümliche Weise ganz nach innen, indem er ein Offertorium folgen lässt in Form eines eingeschobenen Satzes für Sopran-Solo und Begleitung; eine ganz stille Marienverehrung, die das Werk geradezu zur Ruhe kommen lässt....
... in der Tat ein ganz eigentümliches Mittel, das Schumann da anwendet. Eigentlich gehört so ein Offertorium nämlich gar nicht zum Ordinarium der Messfeier, also in den Kanon jener Texte, die durchs Kirchenjahr durchgängig zur Liturgie gehören. Stattdessen stammt es aus dem „Proprium“ also jener Sammlung von Texten, die auf ganz bestimmte Anlässe und Feiern im Kirchenjahr be­zogen sind. Dass Schumann hier dieses Offertorium einschiebt, ist wohl auch aus der Urauffüh­rungssituation zu erklären - für ein Marienfest beispielsweise würde dieser Einschub sehr passend sein und auch zu den Regeln des erwähnten englischen Wettbewerbs, zu dem Schumann die Messe einreichte, soll ein solcher Einschub gut gepasst haben.

Musikalisch ist dieses Offertorium für Sopran-Solo und Begleitung „Tota pulchra es“ sehr, sehr schlicht und wunderbar vertont - auch dies kann mühelos von einer gut ausgebildeten Sopran-Stimme aus den Reihen des Chores gesungen werden.

Der umfangreichste Satz der Messe ist das folgende Sanctus mit fast zwölf Minuten Dauer. Auch dies geht recht frei mit der liturgischen Norm um.
Für mich ist das Sanctus der wunderbarste Satz in der ganzen Messvertonung. Da ist tatsächlich eine Heiligkeit, eine Andacht komponiert, wie sie eine empfindsame Seele des „Sturm und Drang“ - wie Schumann sie besaß - besonders gut auskomponieren konnte. Ungewöhnlich ist hier, dass Schumann nach dem „Benedictus“ nicht das konventionelle „Hosanna“ folgen lässt, sondern eine Sakraments-Antiphon „O salutaris hostia“ anschließt. So schafft er die Verbindung der gött­lichen Heiligkeit, wie sie im Sanctus thematisiert ist, mit dem „Benedictus qui venit“ - also der im Altarsakrament erwarteten nahenden Herrlichkeit Gottes. Insofern passt dieser eucharistische Text theologisch sehr gut ins Sanctus hinein, ist aber sehr ungewöhnlich an diesem Ort der Messe. Die relativ schlichte Melodie wird vom Bariton-Solisten angesungen und dann vom vierstimmigen Chor wiederholt. Schumann schafft wieder wunderbare Klänge und Harmonien.

Das „Benedictus“ hingegen wird vom Solo-Tenor getragen, der hier vielleicht keine besonders anspruchsvolle Partie zu singen hat, aber doch immerhin bis zum g’’ im oktavierenden Violin­schlüssel notiert. Eine etwas ausgebildete Stimme ist also schon wünschenswert, aber stimmtech­nisch bestehen sonst keine herausgehobenen Ansprüche, so dass man es mit einem sehr guten Chorsolisten auf jeden Fall realisieren könnte. Das Sanctus wird dann am Schluss im Sinne einer Reprise, einer Apotheose noch einmal wiederholt und gibt diesem Teil einen wunderbaren Rah­men - bevor dann der Satz mit einer recht virtuosen Schlussfuge auf dem Wort „Amen“ zu Ende geht.

Thumbnail imageFugen dieser Art - ein Charakteristikum der Messvertonungen alter Zeit - gibt es in Schumanns Messe nur wenige. Folgt daraus, dass die Messe für den Chor leicht einzustudieren ist, weil das mühsame Durchbuchstabieren komplexer Kontrapunkte entfallen kann?
Die Fugen der Missa sacra sind gut zu bewältigen und für den Chor attraktive Aufgaben, weil sie nicht sehr oft vorkommen. Sie sind auch keine Fugen im strengen Sinne von Johann Sebastian Bach. Die Romantiker kannten ja eigentlich die Fuge als kompositorische Form überhaupt nicht mehr. Es gibt höchstens Zitate, Assoziationen an die alten Meister wie Bach oder Händel - einge­setzt wie schon zu Mozarts Zeiten eher als Rückblick auf eine vergangene Epoche. Mozart führt in seinen fugierten Passagen das musikalische Thema und seinen Kontrapunkt noch systematisch durch; Schumann dagegen belässt es eher bei einem Fugato, einer angedeuteten Fuge, er spielt mit dem Themenkopf oder führt ein Thema durch die verschiedenen Stimmen, aber nicht so sehr im Sinne einer kontrapunktischen Durchführung, sondern im Sinne einer thematisch-motivisch-atmo­sphärischen Assoziation. Die Themen werden in verschiedenen Tonarten und verschiedenen Dis­sonanzanreicherungen durchdekliniert, so dass dadurch Bereicherungen und Stimmungswechsel entstehen. Im Grunde ein typisch romantisches Umgehen mit einem kompositorischen Mittel, dass nicht so sehr die stringente Deklination in der Form, sondern mehr die Deklination im Af­fekt, in der Empfindung sucht.

Wenn man denn in diesem Sinne von einer Schlussfuge des Sanctus’ über­haupt sprechen kann - in jeden Fall macht es Schumann dem Chor von der Textseite her leicht, indem er ihn lediglich „Amen“ singen lässt...
...so ist es. Über 60 Takte erstreckt sich dieser Amen-Schluss, aber nicht einfach um dieses „So soll es sein“ auszudrücken, sondern um noch einmal alle Empfindungen der vorangegangenen Texte zu einem Abschluss, zu einem Höhepunkt hin zu führen.

Der dann mit dem abschließenden Agnus Dei erfolgt.
Ja, wobei dies mit fünf Minuten gar nicht sehr lang ist, und auch hier wiederum zweigeteilt ist. Zunächst die Bitte um Erbarmen, „qui tollis peccata mundi/miserere nobis“ in einem kleineren ersten Teil. Der zweite ausführlichere Teil ist dann dem „Dona nobis pacem“, der Bitte um Frie­den zugeordnet. Tonartlich wunderbar, wie der Komponist einen ziemlich langsamen c-Moll-Part einem alla breve in C-Dur im zweiten Teil gegenüberstellt, der dann tatsächlich in eine ruhig-strahlende C-Dur-Apotheose mündet. Das Werk endet in sich ruhend, festlich, also nicht mit der großen Geste nach außen, sondern kehrt übers Forte in die Innigkeit und ins Piano am Schluss zurück und schlägt mit seinem hellen C-Dur den Bogen zurück zum c-Moll-Kyrie vom Anfang der Messe.

Die Gesamtaufführungsdauer von einer guten Dreiviertelstunde ist ja vielleicht für ein ganzes Konzert zu wenig - was könnte man denn für eine Aufführung noch dazustellen?
Wir haben seinerzeit eine moderne Messvertonung der Missa gegenübergestellt. Das Problem bei konzertanten Messvertonungen ist ja generell, dass wir sukzessive hintereinander Texte hören, die im Gottesdienst durch liturgische Elemente teils weit voneinander getrennt sind. Die konzertante Aufführung einer liturgisch geprägten Messe - bei den großen Konzertmessen wie Bachs h-Moll-Messe ist das natürlich etwas anders - hat also immer das Problem, dass prinzipiell der Hinter­grund fehlt, für den diese Musik komponiert ist. Schumann selbst hat über die Messe übrigens geschrieben, sie sei gleichermaßen „zum Gottesdienst, wie zum Concert-Gebrauch geeignet“.

Für mein Empfinden kann man dieses Dilemma sehr gut dadurch lösen, dass man musikalisch einen neuen Kontext schafft, dabei allerdings nicht den Sitz im Leben des Ordinarium Missae anders darstellt, sondern indem man einen musikalischen Kontrast, ein anderes musikalisches Gegenüber schafft. Wir haben das so gelöst, dass wir jedem Satz von Schumann eine andere Komposition eines Kyrie, eines Gloria, eines Sanctus und so weiter gegenüberstellen. Sehr reiz­voll ist auch die Möglichkeit, der textreichen Missa sacra - 45 bis 50 Minuten Text -, In­strumentalmusik gegenüberzustellen, um dort eine Kontrastzone, eine Ruhezone zu schaffen. In jedem Fall wird Schumanns Missa in einem Konzertprogramm den ersten Platz einnehmen, weil es eine sehr schlüssige, runde Ordinariums-Vertonung ist, die in sich so viele musikalische Be­züge hat, dass sie auch durch Unterbrechungen nicht an Gesamtzusammenhang verlieren wird.

Wenn die Erarbeitung der ganzen Messe einen Chor zu überfordern droht - schließlich ist es wohl für fast alle Sänger Neuland -, sind dann auch Teilaufführungen sinnvoll? Auch Schumann selbst hat ja zu seinen Lebzeiten lediglich Kyrie und Gloria aufgeführt.
Genau diese gekürzte Aufführung der Messe als Missa brevis kann ich mir gerade für den evan­gelischen Kontext vorstellen, zumal Kyrie und Gloria tonartlich aufeinander bezogen sind und sehr gut zueinander passen, von c-Moll nach C-Dur sich wendend. Im katholischen Bereich könnte ich mir vorstellen, dass ein Chor zum Beispiel mit dem Sanctus und dem Agnus Dei be­ginnt, also Sätzen, die in den eucharistischen Teil der Messfeier gehören, vor allem zunächst alle Teile weglässt, die nicht zum Ordinarium der Messe gehören, also zum Beispiel das Offertorium. Man kann aber auch den umgekehrten Weg wählen, gerade mit dem Offertorium mal einen ersten Zugang zu der Musik Schumanns zu finden. Es gibt also für beide konfessionelle Zusammen­hänge sehr reizvolle Möglichkeiten von Teilaufführungen, wobei natürlich die Gesamtaufführung sicherlich dem Geiste Schumanns am nächsten kommt. Ich denke, ein kundiger Chorleiter wird für seine aufführungspraktische Situation Mittel und Wege finden, sich selbst und seinen Chor behutsam diesem Werk anzunähern.

Diese Behutsamkeit ist ja vielleicht besonders gefordert, weil das Werk nicht ganz leicht zu erar­beiten ist. Zwar gibt es, wie sie sagten, nicht viele komplizierte Fugenpassagen, aber doch kom­plexe Harmonien und viele Piano-Stellen, die dem Chor abverlangen, genau und schön und leise zu singen.

Ich denke, darin liegt ein besonderer chorpädagogischer Reiz dieses Werkes. Gerade die Piano-Stellen sind äußerst dankbar, was die Vermittlung von stimmtechnischen Fertigkeiten betrifft, um einen ganz spezifischen Ausdruck oder bestimmten Affekt zu erzielen. Da ist die Musik sehr sug­gestiv: Auch der Laiensänger spürt unmittelbar, in welche Stimmung, in welche Atmosphäre Schumann mit seinen Klängen hineinführen will. Das hilft stimmtechnisch außerordentlich, um auch anspruchsvolle Stellen, zum Beispiel bei einem getragenen Pianissimo im Sanctus, zu be­wältigen und die schwebenden Klänge zu verwirklichen, die der Komponist sich wünscht. Der Orgelpart oder der Orchesterpart unterstützen das zusätzlich, indem Farben gemalt werden - ge­rade im Sanctus -, die sehr weite, sphärische Flächen und Klänge erzeugen, so dass es dem Sänger ausgesprochen leicht gemacht wird, die Singweise, die Schumanns Musik braucht, auch zu reali­sieren.

Die Messe gehört ja zum Spätwerk Schumanns, das im Verlauf der Geschichte schon unter eini­gen ziemlich dummen Vorurteilen gelitten hat; entweder unterstellte man vorausweisende Zeichen der Nervenkrankheit des Lebensendes oder man vermisste das jugendlich-stürmerisch Drängende und Formsprengende. Dient die Messe auch als Gegenbeispiel für solche Abqualifizierungen?

Solche Katalogisierungen wie Früh- oder Spätwerk sind ja überhaupt nur anfangs hilfreich, wenn man sich erstmals einem Komponisten nähert. In Bezug auf die Missa sacra führen sie eher in die Irre, als dass sie helfen würden. Das Werk ist zugleich voll von Sturm und Drang, aber auch voll von außerordentlich ungewöhnlichen Ideen, die einem Spätwerk im Sinne eines kompositorisch reichen Lebenswerks zuzuordnen wären. Was im Einzelnen dem einen oder dem anderen ge­schuldet ist, möge der Hörer nach einer gelungenen Aufführung selbst entscheiden. In jedem Fall birgt das Werk so vielfältige Anregungen für Interpreten wie für Hörerinnen und Hörer, dass es sich allemal lohnt, sich damit zu beschäftigen.

Sie haben dies mehrmals getan – in insgesamt drei Aufführungen der Kantorei Barmen-Gemarke in Wuppertal und Zwickau 2006 und 2010. Einmal mit Orgel, einmal mit Orchesterbegleitung – und dann wieder mit Orgel…
Wir hatten in der Tat das Glück, beide Versionen kennenlernen zu können und waren schon nach der leichter zu realisierenden Orgelfassung begeistert von dem Werk und waren dann nochmals begeistert durch die wunderbaren Orchesterklänge, die in einer ganz besonders intensiven, farbi­gen Weise das Werk zum Leuchten bringen.

Wir sind dann wieder zur Orgelfassung zurückgekehrt und konnten im Rückblick auf die damalige Ein­studierung schon unterschiedliche Akzente setzen. Zum Beispiel die stürmerischen, drängen­den Akzente noch intensiver herausarbeiten und den sphärischen Klängen noch mehr Ruhe geben - also die erste Interpretation noch ein bisschen in die Tiefe ausreifen lassen.

Wenn man die Möglichkeit hat, es mit Orchester aufzuführen, welche besonderen Qualitäten wer­den dem Orchester abverlangt?
Das Werk ist sicherlich für ein normales Sinfonieorchester sehr gut spielbar, es wäre wichtig, dass Chor und Orchester Zeit haben, ein wenig zusammenzuwachsen. Nur die Töne abzuspielen, die dort stehen, würde sehr viel von den subtilen Feinheiten, die in Schumanns Musik stecken, und die man tatsächlich interpretieren muss, untergehen lassen. Es reicht nicht, piano oder forte zu spielen. Ein pädagogisch geschickter Chor- und Orchesterleiter wird Mittel und Wege finden, gerade durch die Suggestivität von Schumanns Musik die entsprechenden Stellen zu wählen, mit denen er ins Werk einführen und Chor und Orchester zu einem gemeinsamen Ausdruckskörper formen kann.

Wichtig ist, dass dem reich besetzten Orchester auch ein ausreichend stark besetzter Chor gegen­über steht: 80 bis 90 Sängerinnen und Sänger sollten es schon sein, wenn es 120 sein könnten, umso besser. Andererseits muss man klar sehen, dass viele Passagen eher chorische Kammer­musik sind und gar nicht so sehr den ganz großen Gestus brauchen, d.h. auch ein großer Chor sollte sehr beweglich, klanglich überaus subtil agieren und den vielen Herzensregungen, die der Komponist zum Ausdruck bringt, ausreichend Raum geben.

Wie waren denn die Publikumsreaktionen bei den Aufführungen?
Verblüfft: dass es so ein Werk von Schumann gibt. Fasziniert: so etwas zu hören. Erstaunt: so etwas nicht vorher kennengelernt zu haben. Der isolierte Platz in einer Nische des Chorrepertoires resultiert wohl daraus, dass die Missa sacra eben auch gerade durch ihre Qualitäten viele Erwar­tungshaltungen, die ein bürgerliches Konzertpublikum des 19. Jahrhunderts an eine Ordinariums-Vertonung stellte, gerade eben nicht so sehr erfüllt wie es andere Vertonungen tun. Und deswegen kann man sich vorstellen, dass von Anfang an dieses Werk es etwas schwieriger hatte, in das Re­pertoire der großen Konzertchöre aufgenommen zu werden.

Diese Probleme sind heute so nicht mehr vorhanden, im Grunde kann man sich heute darüber freuen, dass Publikum und Interpreten sich offen jedem Werk und jeder Neuentdeckung stellen. Schumanns Musik bietet dazu reichhaltig Anlass. Eine gute Interpretation, die eine bewusste, ei­gene Haltung zu Schumanns Musik erarbeitet hat, wird allemal das Publikum faszinieren.

Tilman Lücke
2010/12.12.2013

Informationen: Bernhard R. Appel (Hrsg.): Robert Schumann: Missa sacra (liturgisch), op. 147, nach Robert Schumann "Neue Ausgabe sämtlicher Werke" Band IV/3/2, gemischter Chor (SATB) und Orgel, Bestell-Nr.: ED 8025, Preis: 32,99 EUR zzgl. Versandkosten. Direktbestellung beim Verlag

 

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